22.12.2009

Schweizer AKW Mühleberg
bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?

Unbefristete Betriebsgenehmigung
ohne BürgerInnenbeteiligung

Bern (LiZ). Das AKW Mühleberg, das bereits 1972 in Betrieb ging, erhält nun als letztes der vier Schweizer Atomkraftwerke eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) hat die Aufhebung der bislang befristeten Bewilligung ausgesprochen, ohne eine ernstzunehmende BürgerInnenbeteiligung, wie sie bis dato in der Schweiz Usus war, durchzuführen. Die Bewilligung gilt laut UVEK so lange, wie "der sichere Betrieb des Kernkraftwerks" gegeben sei.

Die Schweizer Atomkraftwerke Gösgen und Leibstadt verfügen seit ihrem Betriebsbeginn über unbefristete Betriebsgenehmigungen. Reaktorblock I des AKW Beznau ebenso, während Beznau II eine unbefristete Betriebsgenehmigung erst im Jahr 2004 erhielt. Die bislang auf 40 Jahre befristete Betriebsgenehmigung des AKW Mühleberg wäre zum Ende des Jahres 2012 abgelaufen. Der Betreiber, die BKW FMB Energie AG, hatte im Januar 2005 eine Aufhebung der Befristung beantragt.

Das UVEK stützt seine aus der Sicht der Anti-AKW-Bewegung skandalöse Entscheidung auf das neue Schweizer Kernenergiegesetz, das im Februar 2005 in Kraft trat. Wie es in einer Mitteilung schreibt, müßten Betriebsgenehmigungen für Atomkraftwerke gemäß diesem Gesetz unbefristet erteilt werden und zudem lägen für das AKW Mühleberg "derzeit keine Gründe vor, die eine Befristung erforderlich machen" würden.

Die Schweizer Bürgerinitiative 'Fokus Anti-Atom', die aus der 'Aktion Mühleberg stillegen' (AMüs), hervorging, kritisiert, daß die Genehmigungsbehörde UVEK - bei diesem ersten Verfahren nach dem neuen Kernenergiegesetz - wesentliche Vorgaben "ausgehebelt" habe. So sei den EinsprecherInnen der Einblick in sämtliche Originalakten zum AKW Mühleberg verwehrt worden. Dies dürfe nicht zu einem Präjudiz künftiger Atomverfahren in der Schweiz werden. 'Fokus Anti-Atom' kündigte gestern an, die EinsprecherInnen würden den Entscheid vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechten. Nach einem negativen Urteil des Bundesverwaltungsgericht kann das Schweizer Bundesgericht als letzte Instanz angerufen werden.

'Fokus Anti-Atom' erinnert in einer Stellungnahme daran, daß mehrere Personen mit Wohnsitz in "Zone 1" um das AKW Mühleberg bereits seit Beginn des Einspracheverfahrens im Juni 2008 die Offenlegung technischer Originalakten wie dem aktuellen Sicherheitsbericht oder der probabilistischen Sicherheitsanalyse PSA gefordert hätten. Das UVEK und in einem zweiten Schritt das Bundesverwaltungsgericht haben diese Forderung zurückgewiesen. Zuvor war bei allen Schweizer Atom-Verfahren seit 1990 die Vorlage entsprechender Originalakten integraler Bestandteil. Die Schweizer Atomkraft-GegnerInnen sehen daher ein krasses Mißverhältnis zwischen dem vom UVEK betriebenen Öffentlichkeitsaufwand und der zugleich zur Schau gestellten Ignoranz gegenüber sämtlichen Risiko-Überlegungen und Bedenken.

Laut Recherchen der Schweizer Anti-AKW-Bewegung ist das AKW Mühleberg von Grund auf falsch konzipiert und entspricht nicht auf dem Stand der Technik. Einzelne Verbesserungen könnten diese Gefahren kaum mindern. Zudem fehle seit Jahren ein seriöses Alterungsüberwachungsprogramm. Nicht einmal die zu überwachenden Komponenten seien umfassend kategorisiert. Weiter wird bemängelt, daß der Entscheid des UVEK zu einem Zeitpunkt ergeht, da für den Betrieb des AKW Mühleberg über vierzig Jahre hinaus "dringende Unterlagen fehlen". Zum Teil hätten solche schon 2008 bearbeitet sein sollen, was nachweislich nicht der Fall sei.

Im einzelnen weisen KritikerInnen auf bekannte Fakten hin:

Leitungsbruch

Seit Jahren ist bekannt, daß der Schutz vor einem massiven Austritt von Radioaktivität aus dem AKW Mühleberg bei einem Rohrbruch im Maschinenhaus infolge eines Erdbebens nicht gewährleistet ist. Den gegenteiligen Nachweis (rechnerisch oder mit baulichen Verbesserungen) hätte die BKW schon Ende 2008 liefern müssen. Das "Geschäft" ist aber beim ENSI immer noch in Bearbeitung.

Erdbeben

Etliche Sicherheitssysteme wie Notstromdiesel und Pumpen sind seit Inbetriebnahme 1972 nicht gegen Erdbeben geschützt. Bis heute sind nicht einmal die Berechnungen für das daraus resultierende Risiko einer Kernschmelze gemacht.

Interne Überflutung

Der Bruch einer einzigen für die Notkühlung des Reaktors zentralen Leitung (so genannte Torusringleitung) hätte zur Folge, daß praktisch alle Aggregate für die Kühlung außer Gefecht gesetzt würden. Auch hier fehlen Risiko-Studien von Seiten BKW und ENSI. Aufgrund dieser Besorgnis erregenden technischen Fehl-Einrichtung verlangen AKW-GegnerInnen schon seit Jahren die Stilllegung des AKW. Bei anderen Anlagen des Mühleberg-Typs sind die Aggregate baulich separiert und vor Überflutung und Brand geschützt aufgestellt.

Laut 'Fokus Anti-Atom' würden diese Schwachpunkte allein ausreichen, das AKW Mühleberg zumindest vorübergehend außer Betrieb zu nehmen, wie dies in der Verordnung des UVEK "über die Methodik und die Rahmenbedingungen zur Überprüfung der Kriterien für die vorläufige Außerbetriebnahme der Kernkraftwerke" geregelt ist. Das ENSI hat eine solche Außerbetriebnahme aber noch nie angeordnet. Ein solcher Umgang mit einer Hochrisikotechnologie ist nach Ansicht der Atomkraft-GegnerInnen nicht hinnehmbar. Gegen das ENSI ist derzeit eine Aufsichtsbeschwerde wegen Unterlassung zwingend notwendiger Maßnahmen beim AKW Beznau anhängig.

 

LINKSZEITUNG