19.11.2010

Neue wissenschaftliche Studie aus München:
AKW und tote weibliche Embryos

Zonen um AKW-Standorte München (LiZ). Tausende weibliche Embryos blieben in den vergangenen Jahren wegen der radioaktiven Strahlung aus Atomkraftwerken auf der Strecke - allein in Deutschland und der Schweiz. Dies ist das Ergebnis einer aktuell vorgelegten wissenschaftlichen Studie von Ralf Kusmierz, Hagen Scherb und Kristina Voigt.

Die WissenschaftlerInnen untersuchten die Anzahl der Geburten von Jungen und Mädchen in Abhängigkeit von der Wohndistanz zum nächstgelegenen Atomkraftwerk. Sie entdeckten einen hochsignifikanten Zusammenhang: In einem Umkreis von 35 Kilometern um deutsche und Schweizer Atomanlagen kam es in den vergangenen 40 Jahren zu einem Verlust von 10.000 bis 20.000 Lebendgeburten bei Mädchen.

Normalerweise besteht ein Verhältnis von 105 bis 106 lebend geborenen Jungen zu 100 lebend geborenen Mädchen. Dieses Verhältnis ändert sich nur in Stress-Situationen wie Krieg oder bei der radioaktiven Bestrahlung der Bevölkerung. Nach dem Super-GAU von Tschernobyl 1986 veränderte sich in jenen Gebieten Europas und Asiens, die durch die radioaktive Wolke verseucht worden waren, sprunghaft und anhaltend dieses Zahlenverhältnis. Auch nach 1986 wurden signifikant weniger Mädchen geboren.

Der Grund für die unterschiedliche Auswirkung der Strahlenbelastung auf männliche und weibliche Embryos liegt darin, daß letztere deutlich strahlungsempfindlicher sind. Grundsätzlich reagieren alle Embryos äußerst strahlungsempfindlich und je kleiner sie sind, desto empfindlicher sind sie. Dies läßt sich durch letale Mutationen, also tödliche Veränderungen im Erbgut der Keimzellen oder der Embryos erklären, bedingt durch die Verstrahlung mit radioaktiven Stoffen wie Cäsium-137. Es kommt dann zu spontanen Aborten von befruchteten Eizellen oder von Embryos.

Männliche Embryos sind davon ebenfalls betroffen: Beobachtungen aus Dänemark vor und nach 1986 deuten darauf hin, daß die radioaktive Verstrahlung durch die Tschernobyl-Katastrophe auch viele fehlende Jungen-Geburten verursacht hat. Auf etwa drei fehlende Mädchen-Geburten kommt eine fehlende Jungen-Geburt.

Es ist also sehr wahrscheinlich, daß die radioaktive Verstrahlung durch die Tschernobyl-Katastrophe entsprechend den vorliegenden Daten in Europa und Teilen Asiens zum Verlust von mindestens einer Million Kindern geführt hat. Dies ergibt sich auch aus dem Vergleich mit den Zahlen aus den USA, wo die Tschernobyl-Katastrophe wegen der Distanz keine erkennbaren Folgen hatte.

Die Daten der Studie sind hochsignifikant und halten auch strengen statistischen Zusatztests wie etwa einer Sensitivitätsanalyse stand. Selbstverständlich beweist eine Statistik keinen ursächlichen Zusammenhang. Doch anders als im Falle der im Dezember 2007 veröffentlichten deutschen Kinderkrebs-Studie, auf welche die Atom-Lobby mit der Behauptung reagierte, die Leukämie-Häufung ließe sich auch auf andere Ursachen zurückführen, muß in diesem Falle angenommen werden, daß andere Ursachen als die beim sogenannten Normalbetrieb von Atomkraftwerken abgegebene Radioaktivität für die fehlenden Mädchen-Geburten nicht in Frage kommen.

Darüber hinaus kann es durch die Strahlungsbelastung zusätzlich zu Erbgutveränderungen kommen, die nicht sofort für den Embryo tödlich wirken, sondern erst Jahre später zu schweren Erkrankungen wie Leukämie führen.

In einem Interview mit der Schweizer Wochenzeitung WOZ erklärte der Basler Krebsforscher Claudio Knüsli, die neue deutsche Studie müsse sehr ernst genommen werden. Er bestätigte, daß es sich bei den drei WissenschaftlerInnen um renommierte Fachleute handelt. Zwei von ihnen arbeiten am Münchner Helmholtz-Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Kusmierz ist an der Universität Bremen tätig. Knüsli erinnert daran, daß laut Weltgesundheitsorganisation WHO das Erbgut das kostbarste Gut der Menschheit sei.

Die Ergebnisse dieser Studie werden in naher Zukunft einen Glaubwürdigkeits-Test für die sogenannten Christdemo- kratInnen bieten, die sich ansonsten vehement für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen: Bleiben sie konsequent bei ihrer fundamentalistischen Einstellung zum Schutz des ungeborenen Lebens oder wiegt am Ende doch der Profit mehr als die Moral?

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Hiroshima, Nagasaki und die Atomkraft
      - strahlende Folgen (8.07.09)

      Kinderkrebs auch am Standort
      des 1989 stillgelegten THTR Hamm-Uentrop? (25.04.08)

      Krebs-Häufung in der Nähe von AKWs
      Neue Studie im Auftrag des
      Bundesamtes für Strahlenschutz (7.12.07)

      Signifikant erhöhtes Leukämie-Risiko bei Atomkraftwerken
      Wissenschaftliche Studie über 136 AKWs (21.07.07)

      Bayerische AKWs rufen nachweislich
      Krebs bei Kindern hervor (14.02.01)

      Dokumentation der Orginalarbeit
      von Dr. Alfred Körblein (14.02.01)

      Die stille Katastrophe
      Info-Serie Atomenergie - Folge 8