22.02.2011

Reihe schwerer Sicherheitsmängel
in französischen AKW

Atomkraftwerke in Frankreich Paris (LiZ). In den vergangenen Wochen wurden weitere gravierende Sicherheitsmängel in französischen Atomkraftwerken publik. Laut dem französischen Netzwerk für Atomausstieg, Réseau Sortir du Nucléaire, sind 34 baugleiche Druckwasser- reaktoren in neun AKW von den Sicherheitsmängeln betroffen. Kurz nach der ersten Meldung wurden über vorzeitige Abnutzungen an Generatoren von 19 Reaktoren berichtet. Beide Mängel betreffen wesentliche Anlagenteile, die zur Vermeidung von Kernschmelzunfällen dienen. Auch deutsche AKW weisen ein unverkennbar hohes Risiko für Reaktorunfälle auf, die die katastrophale Folge eines Super-GAU nach sich ziehen können.

Das Regierungspräsidium Freiburg gab am 2. Februar 2011 die Entdeckung eines mangelhaft funktionierenden Druck-Sensor in einem ungenannten französischen 900-Megawatt-Reaktor bekannt. Dieser Sicherheitsmangel betrifft auch das baugleiche AKW Fessenheim. In der Veröffentlichung werden jedoch wichtige Tatsachen nicht erwähnt:

  • 1. Insgesamt sind 34 Reaktoren in Frankreich von dem Problem betroffen. Im Zusammenhang mit der geplanten Nachrüstung erwähnt das Regierungspräsidium Freiburg neun betroffene Anlagen. Damit wird jedoch nicht klar, wie hoch das Unfallrisiko wirklich ist. Mit "Anlagen" sind in dem Text offenbar die betroffenen AKW-Standorte gemeint. An den einzelnen Standorten sind aber bis zu sechs Reaktoren in Betrieb. Insgesamt sind daher 34 Reaktoren betroffen.

  • 2. Es wird nicht deutlich, daß der Mangel im AKW Bugey festgestellt - bei allen Inspektionen des AKW Fessenheim jedoch offenbar übersehen wurde.

  • 3. Es handelt sich um eine unverzichtbare Sicherheitseinrichtung im Falle eines Lecks im Primärkreislauf. Bei solch einem Unfall wäre eine Kernschmelze möglich, die mit einem großflächigen Austreten von Radioaktivität verbunden sein kann.

  • 4. Die Französische Atomsicherheitsbehörde Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) warnt auf ihrer Internetseite, daß beim Auftreten von bestimmten Lecks des Primärkreislaufs die Kühlung des Reaktorkerns durch Hochdruckeinspritzung (von Borwasser) nicht gewährleistet ist. Leider ist dieser Kommentar auf der Internetseite der ASN nur schwer zu finden.

  • 5. Das Regierungspräsidium Freiburg spricht von einem "Ereignis". Es handelt sich jedoch konkret um den Sicherheitsmechanismus für einen Kernschmelzunfall. In diesem Zusammenhang ist die Wortwahl völlig unangemessen und realitätsfern.

Ingo Falk von der Anti-Atom-Gruppe Freiburg erklärt: "Es ist beunruhigend, daß solch ein gravierendes Problem so lange unentdeckt blieb. Die EDF lässt 34 Reaktoren, von denen einige schon über 30 Jahre in Betrieb sind, derzeit trotz der offenkundigen Sicherheitsmängel am Netz." Laut des Réseau Sortir du Nucléaire werden zudem in 21 der Reaktoren sogenannte MOX-Brennstäbe mit Plutonium-Anteil verwendet. Plutonium gilt als besonders giftig, krebserregend und langlebig (Halbwertszeit: 24.000 Jahre).

Damit nicht genug: am 17. Februar wurde eine weitere Serie von Sicherheitsdefiziten gemeldet. Die ASN berichtet über 8 AKW-Standorte, an denen die Notstrom-Aggregate im Falle eines Stromausfalls versagen könnten. Die Lager, die der Dämpfung dieser Stromgeneratoren dienen, weisen vorzeitige Ermüdungserscheinungen auf.

Auf Grund der aufgedeckten Fehlerserien fordert das Réseau Sortir du Nucléaire die umgehende Stilllegung der betroffenen Reaktoren.

Auch in deutschen AKW wurden zahlreiche Mängel festgestellt, so daß eine Verhinderung von Kernschmelzunfällen nicht gewährleistet ist. Philippsburg I, Baden-Württembergs hochgefährlicher Siedewasser-Reaktor, weist Spannungen im Reaktordruckbehälter weit über dem zulässigen Wert auf. Ermüdungsrisse könnten auch hier eine Kernschmelze verursachen. Die Notkühlung des Reaktorkerns ist laut einer Mitteilung des IPPNW (Internationale ÄrztInnen für die Verhütung des Atomkrieges) nicht gesichert. Ein ausgewähltes deutsches Referenzkraftwerk schnitt im internationalen Vergleich hinsichtlich der Kernschmelzfestigkeit am schlechtesten ab (OECD Studie, 1997).

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      AKW Leibstadt
      Mitarbeiter verstrahlt (18.02.11)

      Erhöhtes Risiko im AKW Fessenheim
      20 Prozent Meßungenauigkeit bei Druck-Sensor (4.02.11)

      AKW Grafenrheinfeld
      Riß im Rohr? (17.01.11)

      Schrott-AKW Tricastin
      ASN verlängert Laufzeit um 10 Jahre (6.12.10)

      AKW Flamanville
      Dach eingestürzt (5.12.10)

      AKW Fessenheim: Kurzschluß
      Automatische Abschaltung von Block I (20.10.10)

      Radioaktives Cäsium im Kanal
      beim AKW Fessenheim (14.10.10)

      Radioaktive Wolke aus AKW Fessenheim
      erst nach über einem Monat publik (26.09.10)

      Merkels Atom-Gipfel
      Schwarz-gelbe Bestandsgarantie bis 2013 (6.09.10)

      AKW Philippsburg
      Mit Nebelwerfer gegen Terror-Gefahr? (21.07.10)

      Rheinerwärmung durch AKW Fessenheim
      Gastbeitrag von Axel Mayer (16.07.10)

      Brand im AKW Fessenheim
      Keine Nachricht in deutschen Mainstream-Medien
      (15.07.10)

      Frankreich: Laufzeitverlängerung auf 40 Jahre
      kostet 600 Millionen Euro pro Reaktor
      AKW Fessenheim bis 2017? (27.06.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      im Dezember gravierender als bislang bekannt (23.02.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      Reaktor konnte nicht hochgefahren werden (27.12.09)

      AKW Fessenheim
      30 Jahre tödliche Gefahr

      Atomenergie in Frankreich
      Folge 11 der Info-Serie Atomenergie