10.01.2010

Endlager-Standort Gorleben

Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle

Ausgebauter Salzstock Gorleben Hannover (LiZ). Die lange geheim gehaltenen Kabinetts-Protokolle der niedersächsischen Regierung unter Ernst Albrecht liegen mittlerweile vor. Aus den streng geheimen Akten der Jahre 1976 und 1977 ist ersichtlich, daß geologische Kriterien bei der Auswahl des Endlager-Standorts Gorleben damals kaum eine Rolle spielten und fachliche Einwände der beteiligten Wissenschaftler vom Tisch gewischt wurden. Dennoch wurden im Laufe der Jahre rund 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau des Salzstocks zu einem atomaren Endlager investiert. Entgegen der häufig verbreiteten Fehlinformation konnte dort jedoch bis heute kein radioaktier Müll unterirdisch eingelagert werden. Die Summe von 1,5 Milliarden Euro wurden von der deutschen Atom-Mafia in den vergangenen Jahren immer wieder dreist als Argument eingesetzt, eine "weitere Endlagersuche" sei nicht tragbar.

Am 22. Februar 1977 benannte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht Gorleben nicht nur als Standort für ein zukünftiges Endlager für hochradioaktiven Müll, sondern zugleich für eine "Wiederaufarbeitungsanlage" nach dem Vorbild der Plutoniumfabriken in La Hague und Windscale/Sellafield. Seltsamer Weise gab es damals nicht nur ein, sondern zwei Auswahl-Verfahren. In einem ersten Auswahl-Verfahren untersuchten GeologInnenen unter der Leitung von Professor Gerd Lüttig und Rudolf Wager in den Jahren 1972 bis 1975 bundesweit 250 Salzstöcke. Lüttig war als Vizepräsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und des Niedersächsischen Landesamts für Bodenforschung damals ranghöchster Geologe in Niedersachsen. Nach Aussage Lüttigs war "Gorleben am Ende nicht dabei." Es wurde wasserlösliches Carnalit gefunden und bereits damals festgestellt, daß der Gorlebener Salzstock an der oberen Schicht abgelaugt ist und daher keine Barriere gegen Wasserzutritt bietet. Drei andere Salzstöcke in Niedersachsen kamen in die engere Wahl. Dort sollten Probebohrungen durchgeführt werden. Bereits die Vorbereitung dieser Bohrungen stieß Anfang 1976 auf Protest.

Im Februar 1976 wurde Ernst Albrecht, Vater der Ministerin Ursula von der Leyen, mit Hilfe von Überläufern der zuvor regierenden "rot-gelben" Landesregierung zum neuen Ministerpräsidenten Niedersachsens gewählt. Albrecht stoppte die Probebohrungen und leitete das zweite Auswahlverfahren ein, das ab März 1976 von einer interministeriellen Arbeitsgruppe durchgeführt und geheim gehalten wurde. Auch in diesem Auswahl-Verfahren wurden nur Salzstöcke - und nicht etwa wie in anderen Ländern Granit- oder Lehm-Formationen - in Betracht gezogen. Von zunächst 140 Salzstöcken in Niedersachsen schlossen die BeamtInnen 117 aus, da sie an der Erdoberfläche nicht für den Bau eines 12 Quadratkilometer großen "Nukleares Entsorgungszentrum" (NEZ) geeignet erschienen. Die verbliebenen 33 Standorte wurden mit Hilfe eines Punkte-Schemas bewertet. Der Gorlebener Salzstock erreichte dabei lediglich 32 von insgesamt 266 Punkten, kam aber dennoch in die engere Auswahl der sieben "bestgeeigneten" Standorte.

Zu diesem Zeitpunkt ging die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) nach wie vor davon aus, daß mehrere Standorte benannt und mittels Bohrungen geprüft würden. Dies war die Position von Bundeskanzleramt und Innenministerium noch im Oktober 1976. Damals trafen sich Vertreter der niedersächsischen Landesregierung und des Bundes mit Betreibern in den Räumen des Strom-Konzerns RWE. Mindestens fünf Tiefenbohrungen sollte es an jedem der auszuwählenden Standorte geben, steht in dem Protokoll des Gesprächs. Das würde ein Jahr in Anspruch nehmen. Erst danach sollte entschieden werden, an welchem Ort weiter gearbeitet würde.

Einen Monat nach diesem Treffen jedoch erhielten die Ministerialbeamten in Hannover den Auftrag, lediglich einen einzigen Standort auszuwählen. Mehr als an einem Standort wollte Albrecht keinen Ärger mit der Bevölkerung riskieren. Andere Landesregierungen fühlten sich von der Forderung der Bundesregierung, mögliche Standorte für ein NEZ mit unterirdischem atomarem Endlager zu benennen, ohnehin nicht angesprochen.

Vier Wochen Zeit blieb den Ministerialbeamten in Hannover, eine Auswahl zu treffen und dem Kabinett einen Vorschlag zu machen. Wissenschaftliche Beratungsrunden, etwa die Weizsäcker-Runde beim Ministerpräsidenten, spielten bei diesem Verfahren keine Rolle. Sie werden in dem Kabinettsvorschlag nicht einmal erwähnt. Auch nachgeordnete Behörden durften nicht eingeschaltet werden. Das Auswahlverfahren, an dessen Ende Gorleben benannt wurde, lief als streng vertrauliche interne Angelegenheit der Landesregierung ab, als geheime Kommandosache.

Lediglich das Oberbergamt in Clausthal und das Landesamt für Bodenforschung wurde hinzugezogen. Und der TÜV. Der erstellte im Rahmen des Auswahlverfahrens im Oktober/November 1976 das einzige Gutachten unter sicherheitstechnischen Aspekten. Gorleben kam auch darin zunächst nicht vor. Sieger des Castings war ein Salzstock in Schleswig-Holstein. Gorleben wurde nachträglich, ebenso wie die Grube Mariaglück bei Celle, handschriftlich in der Expertise nachgetragen.

Einen Monat, nachdem der Auftrag an die Ministerialen erging, einen Vorschlag zu machen, sollte das Kabinett entscheiden. Mitte Dezember 1976 wurde noch einmal vertagt. Am 22. Februar 1977 gab Ernst Albrecht das Ergebnis bekannt: Gorleben.

Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) war allerdings zwischenzeitlich durchaus von der Absicht Ernst Albrechts unterrichtet worden. Anders, als es die Mythenbildung um Gorleben will, hatte der Bund nichts Grundsätzliches gegen Gorleben wegen der Grenznähe zur DDR einzuwenden. Lediglich Bedenken militärischer Art wurden diskutiert. So heißt es etwa in einer Kabinetts-Vorlage: "Die Bundesressorts sind der Auffassung, daß ein Entsorgungslager auf dem Salzstock Gorleben von der DDR durch eine 'Handstreichaktion' unterhalb der Schwelle der kriegerischen Auseinandersetzungen in Besitz genommen werden könnte." Die Bekanntgabe des Standorts Gorleben mußte hinausgeschoben werden, damit die Bundesregierung sich mit dem DDR-Regime zwischenzeitlich verständigen konnte und mögliche Einwände dieser Seite "ausgeräumt" werden konnten. Nachdem dies geklärt war, war die Bundesregierung schnell bereit, den Standort Gorleben zu akzeptieren.

Allerdings ging die Bundesregierung noch mehrere Jahre lang davon aus, daß es zu einem Vergleich mehrerer Standorte kommen würde. Erst nachdem die Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) den Weisungen der angereisten Ministerialbeamten nachgegeben und ihre Bewertung von Gorleben veränderte hatten, beschloß auch das Bundeskabinett im Juli 1983 - mittlerweile unter CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl - förmlich: es bestehe keine Notwendigkeit, andere Salzstöcke zu prüfen. Die Bewertung, die zu diesem Beschluß führte, hatte die Regierung mit ihrem Druck auf die PTB-Wissenschaftler selbst herbei geführt.

 

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