13.09.2010

Akten über Explosion im Jahr 1969
Erdgas unter Gorleben

Salzstock Gorleben - westlich und östlich der Elbe Gorleben (LiZ). Aus alten Akten, die von der Bundestags- abgeordneten der Linkspartei Dorothée Menzner jetzt der Öffentlichkeit präsentiert wurden, geht hervor, daß unter dem Gorlebener Salzstock gefährliche Erdgaslager vorhanden sind. Bei einer auf DDR-Gelände im Jahr 1969 vorgenommenen Tiefbohrung in den Salzstock kam es zu einer schweren Explosion von Erdgas, bei der ein Arbeiter getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Mittlerweile bestätigte auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), daß mit Erdgas-Vorkommen zu rechnen sei.

Im Oktober soll nach einem Beschluß von Bundes-Atom-Minister Norbert Röttgen der als "Erkundung" bezeichnete Ausbau des umstrittenen Gorlebener Salzstocks zum Endlager für radioaktiven Müll fortgesetzt werden. Dies, obwohl aus fachlicher Sicht schon seit langem klar ist, daß dieser Salzstock nicht als Endlager für hochradioaktive Abfälle geeignet ist. Die grundlegende Anforderung an ein unversehrtes Deckgebirge oberhalb des Salzstocks ist nicht erfüllt, da die Gorlebener Rinne, eine eiszeitliche Abtragung oberer Schichten, den Salzstock für Grundwasser zugänglich macht. Darüber hinaus wurden - ähnlich wie im Skandal-Bergwerk Asse II - bereits Wassereinbrüche im Gorlebener Salzstock festgestellt. Gorleben wurde in den 1970er Jahren lediglich wegen seiner Lage in Grenznähe zur DDR und der geringen Bevölkerungsdichte als Standort für ein "Entsorgungszentrum" ausgewählt.

Im September 2009 kamen Schreiben des Bundesforschungs- ministeriums aus dem Jahr 1983 zu Tage, aus denen hervorgeht, die "schwarz-gelbe" Bundesregierung unter Helmut Kohl damals massiv Druck auf Wissenschaftler ausgeübt hat, um ein entscheidendes Gutachten zur Eignung des Gorlebener Salzstocks als Endlager für radioaktiven Müll in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Januar 2010 gelangten lange geheim gehaltenen Kabinetts-Protokolle der früheren niedersächsischen Landesregierung unter Ernst Albrecht ans Tageslicht, die belegen, daß in den entscheidenden Jahren 1976 und 1977 geologische Kriterien bei der Auswahl von Gorleben kaum eine Rolle spielten und fachliche Einwände der beteiligten Wissenschaftler vom Tisch gewischt wurden. Im April 2010 veröffentlichte Greenpeace mittlerweile zugängliche Akten, mit denen sich die Vorwürfe detailliert nachgewiesen lassen und die Geschichte der politischen Festlegung auf Gorleben nachgezeichnet werden kann.

Der Gorlebener Salzstock erstreckt sich auch östlich der Elbe weit in das Gebiet der ehemaligen DDR hinein. Die Abgeordnete der Linkspartei Dorothée Menzner hat nun alte DDR-Dokumente (Bohrakte E-Rambow 12/69) präsentiert, aus denen hervorgeht, daß 1969 dort beim Ort Lenzen wegen vermuteter Ölvorkommen Tiefbohrungen vorgenommen wurden.

Salzstock Gorleben - westlich und östlich der Elbe
Entlang der Elbe verlief die frühere innerdeutsche Grenze.

Bei einer dieser Bohrungen kam es - ähnlich wie bei der Ölkatastrophe im April im Golf von Mexiko - am 25. Juli 1969 zu einer schweren Gasexplosion, bei der ein Arbeiter getötet wurde und sechs weitere schwere Verbrennungen erlitten. Trotz Gas-Alarm waren elementare Sicherheitsvorschriften mißachtet worden. Der Bohrstellenleiter versuchte die Bohrung zu retten, doch das Gas-Gasolin-Gemisch entzündete sich am glühenden Auspuff eines Antriebsmotors und explodierte. Ein Augenzeuge berichtete: "Die Hitze war unvorstellbar. In den Wagen schmolzen die Glasscheiben. In der Schmiede explodierten Gasfaschen. Die Kastenprofile des Bohrgerüstes verformten sich zu aufgeblasenen Luftballons." Nachdem sich die Bohrung durch auskristallisiertes Salz zugesetzt hatte, gelang es, das ausströmende Gas-Gasolin-Gemisch abzufackeln. Es brannte bis in den November hinein.

Nach Ansicht der Bürgerinititive Umweltschutz Lüchow Dannenberg zeigt sich mit diesen Erkenntnissen erneut, daß Gorleben "hochexplosiv" sei. Sie weist weiter darauf hin, daß es nicht die einzige Bohrung war, die auf ehemaligen DDR-Gebiet beim Ort Lenzen - nur fünf Kilometer nordöstlich von Gorleben - bis in über 3000 Meter Tiefe in den Salzstock Gorleben niedergebracht wurde. Auch die vorangegangene Bohrung 11/68 rund 400 Meter weiter östlich reichte so tief. Beide Bohrungen mußten wegen der unbeherrschbaren Bedingungen abgebrochen werden und konnten nicht richtig verfüllt werden. Insgesamt gab es 13 Tiefbohrungen zwischen 1954 und 1972 im Raum Lenzen im Bereich des Salzstocks Gorleben.

Die Befürchtungen, daß in Schichten des Salzstocks gefährliche Gas-Lagerstätten zu finden sind, teilt auch der Geologie-Professor Klaus Duphorn. Er dokumentierte, daß das Erdgas- und Erdölreservoir im Salzstock mindestens 100.000 bis eine Millionen Kubikmeter groß ist. Duphorn beruft sich auf ihm überlassene Akten eines Geologen aus Schwerin über die Gas- und Ölbohrungen in dem unter dem Arreal der ehemaligen DDR gelegenen Teil des Salzstocks. Laut Duphorn ist der Salzstock Gorleben als Endlagerstandort endgültig gescheitert: "Wenn bereits in 3.300 Meter Tiefe im Salzstock größere Gas-Gasolin-Gemische anstanden, dann bedeutet dies für ein Atommülllager den Todesstoß." Duphorn hat die Bohrprotokolle gesichtet und sieht belegt, "daß sowohl im geplanten Einlagerungshorizont zwischen 800 und 1.200 Meter Tiefe als auch im Bereich bis über 3.000 Meter Tiefe dicke, zerklüftete Anhydritschichten für eine Durchlässigkeit von Wasser und Lauge als auch Gasen und flüssigen Kohlenwasserstoffen sorgen können." Damit sei das geplante Endlager nicht nur durch Gebirgsschlag gefährdet, auch "wenn das Gas mit Wasser an die Atombehälter kommt, werden diese korrodiert und damit ist der Weg nach oben offen."

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg ergänzt: "Der Salzstock von Gorleben ist nicht unverritzt, wie von Seiten des CDU-Obmanns im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß Gorleben, Reinhard Grindel, behauptet wird. Schon in den 1920er Jahren gab es im Raum Meetschow-Gorleben mehrere Tiefbohrungen direkt in den Salzstock hinein, weil Kalisalze abgebaut werden sollten. Der Kulturhistoriker Dr. Ulrich Reiff stieß bei seiner Recherche für eine Ausstellung zum Thema »Kali und Leinen« für das Museum Wustrow auf mehrere Tiefbohrungen, die nicht ordnungsgemäß verfüllt waren."

Volkmar Bräuer, Endlager-Fachmann der für die geologische Untersuchung von Gorleben zuständigen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) bewertet dagegen die bisher nicht in Betracht gezogenen Erdgasvorkommen im Gorlebener Salzstock als unbedenklich. Kleine Gasvorkommen im Flankenbereich von Salzstöcken seien nicht ungewöhnlich und die "kurze Brennzeit" des Gases bei dem Unfall von 1969 zeige, daß die Menge klein gewesen sei.

Die Atom-Industrie drängt derweil auf eine schnelle "Lösung" der Endlager-Frage. "Der Staat darf das Thema Endlagerung nicht künftigen Generationen zuschieben. Es muß angegangen und gelöst werden", sagt etwa E.on-Chef Johannes Teyssen. "Nach den bisherigen Erkenntnissen spricht viel dafür, daß Gorleben geeignet sein wird. Aber das ist eine politische Entscheidung, an der wir nicht beteiligt sind." Bundes-Atom-Minister Röttgen plant daher inzwischen auch Enteignungen gesetzlich zuzulassen, um die Durchsetzung des Gorlebener Salzstocks als Atommüll-Endlager zu beschleunigen. E.on-Chef Thyssen meint dazu, Enteignungen gebe es schließlich bei allen größeren Infrastrukturprojekten. Kein Land, keine Zivilgesellschaft könne sich vom Egoismus eines einzelnen Grundeigentümers abhängig machen, um ihre notwendige Infrastruktur zu schaffen, so Teyssen weiter.

Für die Erkundung des Salzstocks Gorleben sollen also nun auch Grundstücksbesitzer enteignet werden. Das geht vielen zu weit - so hat jetzt auch der Vertreter des Landkreises Lüchow-Dannenberg das Forum Endlager-Dialog verlassen, eine Runde, in der Politik, Kirchen, Kommunen und Initiativen bisher sachlich miteinander diskutiert hatten. Auch die evangelische Kirche, die zu den betroffenen GrundstückseignerInnen gehört, hat Widerstand gegen die geplante Enteignung am Salzstock in Gorleben angekündigt. "Wir werden uns das nicht einfach gefallen lassen", sagte der Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg, Stephan Wichert-von Holten. Weil sich Kirche und der Waldbesitzer Graf Andreas von Bernstorff seit 20 Jahren weigern, Rechte für die Erkundung des Salzstocks Gorleben abzutreten, konnte bislang nur ein Teil des Salzstocks untersucht werden.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Merkels Atom-Gipfel
      Schwarz-gelbe Bestandsgarantie bis 2013 (6.09.10)

      Weiterer Erfolg des Gorleben-Widerstands:
      Verwaltungsgericht Lüneburg stoppt Datensammlung
      (4.09.10)

      CASTOR-GegnerInnen siegen
      vor Bundesverfassungsgericht (26.08.10)

      CASTOR im November
      Erste Vorbereitungen (20.07.10)

      Unsinniger CASTOR-Transport
      von Hamburg nach Südfrankreich (15.06.10)

      CASTOR nach Gorleben genehmigt
      Widerstand angekündigt (3.05.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      Protest gegen Atommüll-Transport nach Rußland
      Greenpeace-Aktion in der Nordsee (10.04.10)

      In Asse II wird probegebohrt
      Weitere Zeitverzögerung vor der Rückholung (27.03.10)

      Atomenergie ist sicher?
      Autobahnpolizei stoppt Horror-Transport (11.03.10)

      Atommüll-Transporte
      Glaskokillen nicht stabil (5.02.10)

      Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
      Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)

      Endlager-Standort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
      (10.01.10)

      Streit um die neue Atomkraftwerks-Linie EPR in Frankreich
      Sicherheitsbehörden kritisieren
      elektronisches Steuerungs-System (3.11.09)

      Atom-Ausstieg selber machen!

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Info-Serie Atomenergie - Folge 12

      Info-Serie Energiewende
      Folge 1