20.12.2010

Wikileaks-Enthüllung:
Gysi schleimt bei US-Regierung
Linkspartei wird "politikfähig"

Gysi pro NATO Berlin (LiZ). Bekanntlich wird eine Partei in Deutschland erst "politik­fähig", wenn sie sich rückhaltlos zur NATO bekennt. Immer wieder fallen führende FunktionärInnen der Linkspartei mit Aussagen auf, die in dieser Hinsicht der nach wie vor offiziellen friedenspolitischen Partei­linie widersprechen. Gregor Gysi, Sprecher der Linkspartei-Bundestags­fraktion, hatte sich bisher nach allen Seiten offen gezeigt und zugleich vermieden, sich öffentlich festzulegen. Aus einer von Wikileaks enthüllten Geheim-Depesche geht nun hervor, daß Gysi gegenüber der US-Regierung klarstellte, die Ablehnung der NATO durch die Linkspartei müsse nicht ernst genommen werden.

Aus dem von US-Botschafter Philip Murphy im November 2009 nach Washington übermittelten und von Wikileaks enthüllten Geheim-Dokument geht hervor, daß Gregor Gysi sich mit der Aussage einzuschleimen versuchte, die offizielle Forderung der Linkspartei nach Auflösung der NATO sei nicht ernst zu nehmen. Demnach soll die Forderung nach Abschaffung der NATO nur die Parteibasis beruhigen. Diese Forderung sei im Programm der Linkspartei absichtlich so formuliert, daß der - aus Sicht der US-Regierung gefährliche - Ruf nach einem Rückzug Deutschlands aus dem Militär-Bündnis verhindert werden konnte. Denn für eine Auflösung der NATO sei ja die Zustimmung der USA, Frankreichs und Großbritanniens nötig. Und das sei unrealistisch, wird Gysi weiter zitiert. Als "gesellig und in Plauderlaune" wird das vertrauliche Gespräch Murphys mit Gysi beschrieben.

Gysi kann sich nach Informationen des Magazins 'spiegel' an den Wortlaut des Gesprächs mit Murphy nicht erinnern, vermutet aber Übersetzungsfehler, da "das Gespräch auf Deutsch geführt wurde." Außerdem sei die Darstellung in der Geheim-Depesche, er habe gegenüber dem Botschafter geprahlt, allein für den bundesweiten Erfolg der Linkspartei verantwortlich zu sein, "auf jeden Fall falsch."

Die Tageszeitung 'junge welt', die der anti-militaristischen (aber keineswegs pazifistischen) und minoritären links-orthodoxen Strömung in der Linkspartei nahesteht, beurteilt den Wahrheitsgehalt der Wikileaks-Enthüllung über Gysi als glaubhaft. Verbittert schreibt deren Kommentator Werner Pirker, Gysi habe dem US-Botschafter "anvertraut, mit welch schmutzigen Tricks die Parteibasis hintergangen wird." Nach Einschätzung der 'jungen welt' habe das "Parteiestablishment" der Linkspartei zusammen mit Gysi "allein deshalb die Forderung nach einer Auflösung der NATO erhoben, um einer Initiative zum Austritt Deutschlands aus der NATO zuvorzukommen." Letztere berge eine gewisse Brisanz, weil sie an eine konkrete Adresse gerichtet und an konkrete Handlungsschritte gebunden sei.

Die von Wikileaks in großer Zahl veröffentlichten und häufig von Gerüchten geprägten Geheim-Depeschen beziehen sich allerdings nur selten - wie im Falle Gysi - auf Gespräche mit konkret benannten Personen. So wurde in solchen Depeschen ohne Nennung der Urheber etwa die Beurteilungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Teflon-Merkel" und von Außenminister Guido Wetserwelle als "inkompetent, eitel und amerikakritisch" wiedergegeben, was als relativ uninteressanter Tratsch zu bezeichnen ist. Auf der anderen Seite kam durch die Wikileaks-Enthüllungen zutage, daß Helmut Metzner, Büroleiter von FDP-Parteichef Westerwelle, Interna aus den "schwarz-gelben" Koalitionsverhandlungen im Herbst 2009 an die US-Regierung verraten hatte. Vor wenigen Tagen, am 8. Dezember, wurde Metzner nun "einvernehmlich" gegangen. Daß nach diesem Beispiel die mehrheitlich antimilitaristisch eingestellte Basis der Linkspartei einen Rücktritt Gysis erzwingen könnte, gilt allerdings als wenig aussichtsreich.

Ähnlich wie bei den Grünen in den 1980er Jahren werden gegenüber der Linkspartei informelle Voraussetzungen geltend gemacht, bevor sie von den Mainstream-Medien und herrschenden Kreisen mit dem Prädikat "politikfähig" geadelt wird. Zu diesen ungeschriebenen Regeln gehört, daß die NATO, das Gewaltmonopol des Staates und nicht zuletzt das kapitalistische Wirtschaftssystem als unantastbar anerkannt werden müssen.

Kaum geheim war bislang, daß sich Führungspersonal der Linkspartei wie etwa Bodo Ramelow oder Dietmar Bartsch gerne von der Forderung nach Abschaffung der NATO verabschieden würden, um sich so eine Aussicht auf Minister-Posten zu erkaufen. Unlängst hatte Bartsch öffentlich erklärt, die Abschaffung der NATO dürfe nicht am Anfang, sondern müsse am Ende eines Friedensprozesses stehen.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

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