14.04.2010

Konkurrenz für die Großen Vier

Kommunen drängen auf den Strom-Markt

Die Großen Vier Berlin (LiZ). Bundesweit gibt es rund 20.000 Konzessionsverträge zwischen Kommunen und Energieversorgern. In aller Regel sind dies die Großen Vier: E.on, RWE, Vattenfall und EnBW. Und fast alle diese Verträge enthalten entsprechende Klauseln zur Übereignung der Stromnetze. Mit Hilfe dieser Netze konnten die Großen Vier trotz der unter dem Paradigma des Neoliberalismus 1998 beschlossenen Öffnung des Strommarktes für Wettbewerb ihre Marktmacht behaupten und sämtliche Konkurrenten auf Distanz halten. Diese Marktmacht ist auch eines der entscheidenden Mittel, mit dem die großen Vier das Wachstum der erneuerbaren Energien in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten bremsen konnten. Doch Tausende dieser Verträge laufen in den beiden kommenden Jahren aus. Die Kommunen drängen nun vermehrt als Strom- Produzentinnen auf den Markt.

Für viele GemeinderätInnen und BürgermeisterInnen ist nicht so sehr das Verantwortungsbewußtsein für Klima oder ein Bewußtsein für die Gefahren der Atomenergie entscheidend. Daß inzwischen immer mehr Städte und Gemeinden umsteuern, liegt vornehmlich darin begründet, daß das Geschäft mit Strom wieder als attraktive Investition wahrgenommen wird. Es spricht sich herum, daß es sich bei Stromnetzen um eine Infrastruktur handelt, mit der sich beachtliche Gewinne erzielen läßt. Die Umsatzrendite liegt oft bei sechs bis sieben Prozent.

Und auch mit Blockheizkraftwerken (BHKW), einem der attraktivsten Energie-Projekte innovationsfreudiger Kommunen, wird der Weg für den Ausbau der erneuerbaren Energie geebnet. Denn das Festhalten an zentralen Kohlekraftwerken und Atommeilern im Megawatt-Leistungsbereich mit ihrem unflexibeln Regelverhalten verstopft die Stromnetze und blockiert so die dringend nötigen dezentralen Strukturen, die für das Wachstum der erneuerbaren Energien unerläßlich sind. Das Umdenken in den Kommunen führt zu einem schleichenden, doch unaufhaltsamen Strukturwandel.

Noch Anfang der 1990er Jahre hatten viele Kommunen dagegen ihre Stromnetze verkauft und nicht selten der Stilllegung gut funktionierender kleiner Kraftwerke zugestimmt. Energieversorgung galt damals vielen BürgermeisterInnen als lästige, kostspielige Aufgabe und der Verkauf der eigenen Netze als attraktive Einnahmequelle. Und wenn sich Städte oder Gemeinden quer stellten, kauften sich die Großen Vier häufig in kommunale Energieversorger ein und bestimmten so deren Geschäftspolitik. Insbesondere die finanziellen Rückstellungen, die sie zum Zwecke des späteren Rückbaus der Atomkraftwerke schaffen mußten, wurden nicht etwa per Gesetz in einem geschützten Fond angelegt, sondern dienten dem Aufkauf von kommunalen Energieversorgern, dem Einstieg in die Telekommunikations-Branche oder gar für Investitionen in riskante Finanzgeschäfte.

Mittlerweile findet ein Umdenken statt. Nicht ganz nebensächlich ist es, daß die Städte und Gemeinden mit dem Rückkauf der Stromnetze ihre Klimabilanz aufpolieren können. Sie können Ökostrom am Markt einkaufen oder selbst produzieren und diesen dann über die eigenen Netze vertreiben. "Viele Kommunen wollen erneuerbare Energien fördern und den Bau von Biogas- oder Solaranlagen forcieren. Die Netzübernahme ist da nur der erste Schritt; der zweite ist oft der Aufbau eines Vertriebs sowie eigener Anlagen zur Energieproduktion", erklärt Rechtsanwalt und Energieexperte Christian Marthol von der Kanzlei Rödl & Partner. Doch die Großen Vier wollen die Infrastruktur nicht ohne Widerstand aus der Hand geben.

Ascheberg, Billerbeck, Havixbeck, Lüdinghausen, Nordkirchen, Olfen, Rosendahl, Senden: Diese Kommunen sind bislang überregional wenig bekannt. Doch die acht aus dem Münsterland wagen den Konflikt mit den Großen Vier. Sie wollen RWE die Stromversorgung in ihrer Region entreißen. Im vergangenen Sommer haben die Kommunen gemeinsame Stadtwerke gegründet. 2013 wollen sie zusammen mit einem Partner das lokale Stromnetz des Energie-Konzerns übernehmen.

Auch an der Elbe tut sich was. Das im vergangenen Jahr gegründete Kommunalunternehmen Hamburg Energie gewinnt zurzeit täglich zwischen 50 und 100 neue StromkundInnen. Die Energie stammt aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Wasserkraftwerken und eigenen Windkraft- und Solaranlagen. Wenn die Konzessionsverträge mit Vattenfall Ende 2014 auslaufen, könnten die Stadtwerke auch das Stromnetz übernehmen. "Die Stadt prüft das gerade", sagt Unternehmenssprecher Carsten Roth.

Ein harter Konflikt kündigt sich für die kommenden zwei Jahre an. Viele Kommunen wollen die Konzessionen der Großen Vier für die Netze nicht verlängern. Diese werden im Gegenzug versuchen, die Kommunen mit Mondpreisen abzuschrecken. So hatte etwa EnBW bereits 1996 versucht, den Aufbau des Ökostrom-Konkurrenten EWS in Schönau zu verhindern. Bis heute gibt es kein Präzedenzurteil zur Berechnung des Wertes der Stromnetze. Und im Vorgriff auf die kommenden Auseinandersetzung behaupten die Großen Vier - nicht selten wahrheitswidrig - sie hätten die Netze in den vergangenen Jahrzehnte ausgebaut und deren Wert damit gesteigert.

Verhandlungen über den Rückkauf des Stromnetzes zwischen der nordhessischen Kommune Wolfhagen und E.on zogen sich über fünf Jahre hin. In Springe bei Hannover trugen die Kommunen ihren Streit mit E.on um den Wert des Netzes gleich vor Gericht aus. Am Bodensee, wo sieben Gemeinden die Strom- und Gasnetze von EnBW übernehmen wollten, konnte erst die Bundesnetzagentur den Konzern zur Rückgabe bewegen.

Im Neckarraum versuchte EnBW etliche Bürgermeister, die begannen, sich eigene Gedanken zu machen, bei einem Festschmaus mit Gänsebraten umzustimmen. Mit Hilfe eines rechtlichen Konstrukts mit der Bezeichnung "gemeinsamen Netzgesellschaft" versucht der Konzern, sich auch für die Zukunft die Verfügungsgewalt über das Stromnetz zu sichern. Die Kommunen wären darin mit einem Anteil von 35,9 Prozent in einer Minderheits-Position.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht trotz aller Hemmnisse weiter voran. Letztlich werden die Dinosaurier der Energieerzeugung unterliegen. Doch je nachdem, wie lange sie lebenswichtige Veränderungen verzögern können, steigern sie die damit verursachten Schäden für Natur und Klima.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Energie-Kommune Wildpoldsried im Allgäu
      Dreimal soviel Ökostrom wie Eigenverbrauch (8.04.10)

      Was ist eigentlich aus Mülheim
      als RWE-Vorzeigestadt geworden? (28.02.10)

      Der Kampf um das Strom-Netz hat begonnen
      EnBW lockt Bürgermeister mit Gänsebraten (23.10.09)

      Gerichtsentscheid gegen Strom-Konzerne
      BGH erzwingt Dezentralisierung
      und stärkt Erneuerbare Energien (29.09.09)

      Wachstum der Windenergie weiter behindert
      Halbierung des Zuwachses gegenüber 2002 (18.09.08)

      E.on, RWE, EnBW und Vattenfall
      treiben die Strompreise hoch
      Kartellamt sitzt auf brisanten Ermittlungsdaten (5.11.07)

      Für oder gegen die Stromkonzerne?
      Was treibt die Bundesregierung hinter den Kulissen?
      (7.01.07)

      Elektrizitätswerke Schönau
      Die Geschichte

      Die Subventionierung der Atomenergie
      Folge 3 der Info-Serie Atomenergie