19.08.2010

Schein-Abzug aus dem Irak
Öl im Wert von mindestens 300 Milliarden US-Dollar

Der Krieg als Marionette Bagdad (LiZ). Sogenannte Kampf- truppen werden mit spektakulärer medialer Begleitmusik derzeit aus dem Irak abgezogen, um so die Einhaltung eines Wahlver- sprechens von Barack Obama zu suggerieren. Tatsächlich jedoch verbleiben weiterhin 50.000 US-SoldatInnen im Irak und die von kommerziellen "Sicherheits"- Firmen gestellte Zahl an Einsatz- kräften - auch SöldnerInnen genannt - beläuft sich derzeit auf mindestens 20.000. Nahezu vergessen ist heute die Prognose des früheren US-Chefstrategen Paul Wolfowitz, wonach sich der mehrere hundert Milliarden teure Militär-Einsatz über Iraks Öl finanzieren ließe. Immerhin jedoch verschwand in den vergangenen sieben Jahren irakisches Erdöl im Wert von mindestens 300 Milliarden US-Dollar.

Neben der Frage nach einer finanziellen Zwischenbilanz der Irak-Annexion bleibt eine zweite entscheidende Frage in fast allen Medien ausgeblendet: Wird der Irak nun in die Demokratie entlassen? Wie lange könnte sich wohl das irakische Marionetten-Regime halten, wenn tatsächlich dessen US-amerikanische Absicherung wegfiele? Zur Illustration kann nach wie vor der Zusammenbruch dienen, der sich nach dem Abzug der US-amerikanischen Truppen im April 1975 in Südvietnam abspielte.

Saigon 1975, CIA-Zentrale
Zurückgelassene vietnamesische Kollaborateure auf dem Dach der CIA-Zentrale in Saigon

Ähnliche Szenen wie auf dem Dach der CIA-Zentrale in Saigon Ende April 1975 werden sich - vielleicht schon früher als manche vermuten - auch im Irak abspielen, wenn die US-Regierung wegen eines wirtschaftlichen Kollaps gezwungen sein wird, die Annexion des Irak aufzugeben. Denn freiwillig wird eine solche Aufgabe niemals erfolgen.

Die derzeit im Irak verbleibenden 50.000 US-SoldatInnen werden selbstverständlich nicht nur entsprechend den offiziellen Verlautbarungen mit der Ausbildung irakischer Truppen oder logistischen Aufgaben beschäftigt sein. Im Irak verbleiben Spezialeinheiten und Hubschrauber-Besatzungen, die nach wie vor in Kämpfe gegen Aufständische verwickelt sind - auch wenn darüber kaum berichtet wird. Und die 'New York Times' berichtet ganz offen davon, daß die Einsatzkräfte der kommerziellen "Sicherheits"-Firmen Aufgaben wahrnehmen wie etwa Radaranlagen zu bedienen und vor feindlichen Angriffen zu warnen, nach am Straßenrand versteckten Sprengsätzen zu suchen und Drohnen zu steuern. Darüber hinaus soll der irakische Luftraum weiterhin bis mindestens in Jahr 2018 durch die US-Airforce überwacht werden.

Kaum jemand redet heute mehr von den drei Gründen, die Anfang 2003 von der US-Regierung als Begründung für die Besetzung des Irak genannt wurden: die Beseitigung von Massenvernichungswaffen (gezeigt wurden beispielsweise vor den Vereinten Nationen Grafiken von mobilen Chemielabors), die Bekämpfung von "al Qaida" und die Einfuhr von Freiheit und Demokratie. Daß dies Lügen waren, steht heute außer Zweifel. Und dennoch wird die naheliegende Frage unterdrückt, welchem Zweck die Annexion des Irak real diente und dient.

Weitgehend vergessen ist heute auch die Enthüllung der US-amerikanische Umweltschutz-Organisation SEEN (Sustainable Energy & Economy Network) vom August 2003. Ein Mitarbeiter von SEEN hatte ein bereits im Mai 2003 von US-Präsident George W. Bush unter Vermeidung jeglicher Öffentlichkeit unterzeichnete Gesetz EO 13303 ("executive order 13303") entdeckt. Darin wird den US-Ölkonzernen absolute Straffreiheit im Zusammenhang mit der Förderung, dem Transport und dem Verkauf des irakischen Öls zugesichert. Vorgeblich geht es in der EO 13303 um die Absicherung des "Entwicklungsfonds für den Irak", der auf einen Beschluß des UN-Sicherheitsrates zurückgeht und nach dem die Einkünfte aus dem Ölgeschäft der irakischen Bevölkerung zugute kommen sollen. Doch tatsächlich nützte das Gesetz allein Konzernen wie ExxonMobil (Esso) oder ChevronTexaco. Sie werden darin von sämtlicher juristischen Verfolgungen, Verfahren und Urteilen, die im Zusammenhang mit dem irakischen Öl stehen, freigestellt. Sie waren seitdem im Irak keinerlei Einschränkungen unterworfen und von jeglicher Strafverfolgung geschützt.

Der Greenpeace-Ölexperte Jörg Feddern kommentierte damals: "Jetzt dürfte wohl auch dem letzten klar werden, weshalb die USA in den Irakkrieg gezogen sind. Die Sorge um Massenvernichtungswaffen entpuppt sich mit diesem Erlaß als lächerlicher Tarnversuch. Es ging der US-Regierung nur um eine vollständige Kontrolle des irakischen Öls. Dabei hatte sie vor allem eine Befreiung der Öl-Konzerne im Sinn und nicht die Befreiung der Iraker."

In den vergangenen Jahren wurden Tag für Tag rund sechs Millionen Barrel aus dem Irak abgepumpt. Zum Vergleich: Saudi-Arabien fördert täglich 9 Millionen Barrel, Libyen 1,6 Millionen Barrel. Die Erdöl-Förderung ist zwar formell einem Ministerium der "Übergangsregierung" überantwortet; dieses wird aber - wie alle irakischen Ministerien - von einem US-amerikanischen Inspekteur kontrolliert. Es war also kein Zufall, daß nach einer seit 2001 anhaltenden Rezession in den USA ausgerechnet ab April 2003 ein Wirtschaftswachstum von rund sieben Prozent einsetzte.

Legen wir nur einmal den Ölpreis des Jahres 2003 zugrunde, der bei 25 US-Dollar pro Barrel lag (er stieg bis 2008 immerhin auf über 90 US-Dollar pro Barrel), ergibt sich bei 6 Millionen Barrel pro Tag eine jährliche Summe von 54.750.000.000 US-Dollar, abgerundet: 50 Milliarden US-Dollar. Lassen wir auch das Jahr 2003 beiseite, denn etliche Ölförderanlagen mußten erst repariert werden, und legen sechs Jahre zugrunde, ergibt sich einschließlich des Jahres 2009 eine Gesamtsumme von 300 Milliarden US-Dollar. Diese mehr als zurückhaltenden Abschätzung zeigt, daß sich der Irak-Krieg für einen kleinen Kreis der US-amerikanischen "Elite" sicherlich gelohnt hat.

Um eine realistische Vorstellung vom Wert des irakischen Erdöls zu vermitteln, sei daran erinnert, daß nach offizieller Darstellung bei der Versteigerung von Ölkontrakten im Dezember 2009 für sieben von insgesamt 15 angebotenen Ölfeldern insgesamt 200 Milliarden US-Dollar an das irakische Marionetten-Regime gezahlt wurden. Nach offiziellen Angaben wurden zu diesem Zeitpunkt ebenso wie in den Jahren zuvor im Irak 2,5 Millionen Barrel pro Tag gefördert. Gleichzeitig hieß es, die tägliche Ölförderung solle binnen sechs Jahren auf zwölf Millionen Barrel ansteigen (vgl. beispielsweise die österreichische Zeitung 'Wirtschaftsblatt' v. 13.12.2009). In ein vergleichsweise kleines Ölfeld im Mittelmeer, für dessen Ausbeutung der Öl-Konzern BP kürzlich dem libyschen Regime 900 Millionen US-Dollar zugestand, will BP rund 20 Milliarden US-Dollar investieren. Daraus ist zu schließen, daß dort sichere Ölvorräte im Wert von über 100 Milliarden US-Dollar zu heutigen Preisen lagern.

Nach wie vor ist nicht nachvollziehbar, wieviel irakisches Öl beispielsweise durch Pipelines über den Südosten der Türkei in den türkischen Hafen Ceyhan transportiert wird. Daß durch solche Pipelines irakisches Öl fließt, kommt in den Mainstream-Medien allenfalls dann zur Sprache, wenn - wie etwa am 11. August 2010 in der türkischen Provinz Sirnak - ein Anschlag auf eine solche Pipeline verübt wird.

Wenn also die medial gelenkte Diskussion in den USA über die Frage, ob sich der Irak-Krieg "gelohnt" habe, auf Fragen fokussiert wird, wie etwa die, ob sich die Menschenrechtssituation in dem Land gebessert habe, ist dies ein zynischer Witz. Selbst "think tanks" wie das 'Brookings Institut', das in den vergangenen Jahren immer neue Begründungen für den Irak-Krieg nachlieferte, gesteht heute ein, es sei noch "zu früh, um zu sagen, ob der US-Einsatz im Irak die Sicherheit in der Region verbessert" habe. Und das vermeintlich linke 'Center for American Progress' lenkt vom tatsächlichen finanziellen Nutzen der Irak-Annexion ab, indem es erklärt: "Die Kosten übertreffen den Nutzen." Zugleich kommt aus den Reihen der deutschen Friedensbewegung die gutgemeinte Kritik, der Irak sei weder nachhaltig befriedet noch politisch stabilisiert worden und dies werde auch in Afghanistan nicht gelingen. Übersehen wird dabei, daß es darum niemals ging.

Es ist ein gespenstisches Schauspiel, wenn US-Präsident Barack Obama etwa bei einer Veranstaltung der 'democratic party' in Columbus im US-Bundesstaat Ohio den Menschen erzählt, er löse "ein Versprechen ein, das ich zu Beginn meines Wahlkampfs gemacht habe". Zugleich kündigt er dabei ein "neues Engagement" an, das im Irak nicht von SoldatInnen, sondern von DiplomatInnen geführt werde. Das Publikum antwortete mit "Yes, we can"-Rufen.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Zweck der Killertruppe KSK
      von Bundeswehr-General bestätigt:
      "Es geht darum, Extremisten auszuschalten" (18.08.10)

      Irak-Krieg: Video zeigt Kriegsverbrechen
      US-Hubschrauberbesatzung schießt auf Unbewaffnete
      (6.04.10)

      Scheinwahl im Irak
      "... von einer korrupten Regierung ausgeplündert"
      (8.03.10)

      Sprunghafter Anstieg von Fehlgeburten in Falludscha
      Häufung von Mißbildungen und Krebsfällen bei Kindern
      auf dem irakischen Schlachtfeld vom Oktober 2004
      (15.11.09)

      "Friedens"-Präsident Obama erhöht Militär-Etat
      Neuer Weltrekord: 680 Milliarden US-Dollar (29.10.09)

      Globale Militärausgaben
      auf 1.464 Milliarden US-Dollar gestiegen (9.06.09)

      Barack Obama und das Nadelöhr
      ... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)

      Ehemaliger US-General John Abizaid
      bezeichnet Irak-Krieg als Krieg ums Öl (16.10.07)

      Irak: Folter as usual
      US-Menschenrechtsorganisation klagt an (25.01.05)

      "Operation Ali Baba"
      Auch britisches Militär folterte im Irak (19.01.05)

      Brief aus Falludscha an Kofi Annan (3.11.04)

      Medica Mondiale bestätigt: Der Afghanistan-Krieg
      brachte keine Verbesserung für die Lage der Frauen
      (24.08.04)

      Drei Kriegsgründe - drei Lügen
      US-Kommissionsbericht bestätigt indirekt
      einen Kriegsgrund (18.06.04)