24.10.2010

Verbrechen Krieg
Wikileaks veröffentlicht Dokumente zum Irak-Krieg

US-Besatzungssoldat im Irak London (LiZ). Seit Samstag stehen die vom Whistleblower-Portal Wikileaks angekündigten geheimen Irak-Kriegsberichte im Netz. Es handelt sich um die umfangreichste Enthüllung in der US-Militärgeschichte. Die 391.832 Dokumenten zeigen, daß im Irak-Krieg - wie schon in WK I und WK II - vor allem ZivilistInnen getötet werden. Laut Wikileaks belegen die Geheimdokumente, daß dem Irak-Krieg 66.081 ZivilistInnen zum Opfer fielen, während die unabhängige britische Menschenrechtsgruppe 'Iraq Body Count' diese Zahl bislang auf rund 50.000 geschätzt hatte. Zudem liefert die Veröffentlichung eine Vielzahl von Beweisen für die zuvor meist nur auf Indizien beruhende Anschuldigung gegen die US-Regierung, massenhaft Folter und Menschenrechtsverletzungen im Irak in den sieben Jahren seit Beginn des Krieges am 20. März 2003 gedeckt zu haben.

In den Geheimdokumenten aus dem Zeitraum zwischen Anfang 2004 und Ende 2009 finden sich Beweise, daß die US-Regierung von schweren Mißhandlungen durch Soldaten und Polizisten gewußt hat und den Hinweisen oftmals nicht nachgegangen ist. Dennoch versuchen die Mainstream-Medien in den USA, aber auch in Staaten wie Österreich oder Deutschland die Veröffentlichung herunterzuspielen. So urteilte etwa die 'New York Times', die Geheimdokumente enthielten "keine welterschütternden Enthüllungen." Sie schließ sich damit dem irakischen "Innenministerium" an, das - wie kaum anders zu erwarten - erklärte, die Veröffentlichung berge "keine Überraschungen." "Kein Gesamtbild", assistiert der 'spiegel', "kein neues Verständnis der Geschehnisse im Irak".

Zugleich stellen die Mainstream-Medien die vermeintliche Bedrohung der US-amerikanischen SoldatInnen durch die Veröffentlichung und die scharfe Reaktion der Obama-Administration ins Zentrum ihrer Berichterstattung. Diese erklärte umgehend, die "unverantwortliche Veröffentlichung gestohlener geheimer Dokumente gefährdet Leben und gibt Feinden wertvolle Informationen". Pentagon-Sprecher Geoff Morrell nannte die Veröffentlichung "ein Geschenk an terroristische Organisationen". Außenministerin Hillary Clinton sagte, es sei strengstens zu verurteilen, wenn durch solche Enthüllungen das Leben von SoldatInnen und ZivilistInnen gefährdet werde. Schon nach der Veröffentlichung von rund 70.000 Afghanistan-Dokumenten vor drei Monaten hatten die USA schwere Vorwürfe gegen Wikileaks erhoben. (Siehe unseren Artikel v. 28.07.10)

Laut 'New York Times' prüft die Obama-Administration, ob Wikileaks-Gründer Julian Assange gegen das Spionagegesetz von 1917 verstoßen habe. Die US-Regierung forderte Wikileaks mehrfach auf, alle Geheimdokumente "zurückzugeben", keine weiteren Materialien zu veröffentlichen und alle Versuche einzustellen, weitere Geheimdokumente zu erhalten. Der 22-jährige US-Gefreite Bradley Manning, der im Verdacht steht, Wikileaks die Geheimdokumente über den Afghanistan- Krieg und den Irak-Krieg zugespielt zu haben, sitzt in Virginia in Untersuchungshaft. Wikileaks lehnt die US-Forderungen ab, hat aber in den Dokumenten zum Irak zahlreiche Passagen geschwärzt, darunter Namen von Informanten und einige Ortsangaben.

Am Samstag hatte Assange zu einer Medien-Konferenz nach London eingeladen. In einem unterirdischen Konferenzraum eines Hotels stellte er die umfangreichste Enthüllung in der US-Militärgeschichte vor. Unterstützt wurde Assange von dem bekannten Whistleblower Daniel Ellsberg, der 1971 die "Pentagon-Papiere" veröffentlicht hatte. Mit der Veröffentlichung dieser geheimen Einschätzung der damaligen US-Regierung über den Vietnam-Krieg, erwies Ellsberg der internationalen Friedensbewegung einen unschätzbaren Dienst. Assange wurde zudem von John Sloboda von der Vereinigung 'Iraq Body Count' (IBC) begleitet. Sloboda sagte, die Geheimdokumente erzählten "die kleinen, erbarmungslosen Tragödien des Konflikts." Das "tägliche Töten" hat nach Ansicht Solbodas einen "kaum zu kalkulierenden Einfluß auf die normalen Menschen".

Die von Wikileaks veröffentlichten Geheimdokumente bieten aus der Perspektive vor Ort ein ungeschöntes Bild des Verbrechens Krieg. Sie zeigen die alltägliche Grausamkeit des Kriegs, die den Begriff Kriegsverbrechen mit seiner Beschränkung auf herausgehobene Ereignisse wie etwa einzelne Massaker absurd erscheinen läßt. Allein über nicht weiter kommentierte oder untersuchte "kriminelle Akte" existieren 3.124 Seiten. In vielen der Dokumente wird über Leichenfunde berichtet, im Jahr 2005 nicht selten über mehrere pro Tag. Die Dokumente beweisen, daß die Folterung von Gefangenen auch nach dem Skandal von Abu Ghraib im Jahr 2004 nicht eingestellt wurde. In nahezu der Hälfte der Fälle wurde die Folter im Irak von US-MedizinerInnen überwacht. Sie belegen zudem, daß rund 100.000 SöldnerInnen im Dienste US-amerikanischer "Sicherheitsfirmen" im Irak einen Teil der "Drecksarbeit" übernahmen.

Über die Motiven des Irak-Kriegs, der sicherlich nicht wegen der drei damals verkündeten Ziele geführt wurde, sagen die Dokumente allerdings nichts. Deshalb kann von den Mainstream-Medien auch weiterhin die Legende verbreitet werden, dieser Krieg habe die USA nur gigantische Summen gekostet, während der Wert der Ölförderung verschwiegen wird.

www.wikileaks.org

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Faschistoide Menschenversuche
      mit Wissen der US-Regierung (3.10.10)

      Wikileaks deckt Hintergründe
      des Afghanistan-Kriegs auf (28.07.10)

      Abrüsten durch Aufrüsten?
      Obama gibt 80 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen
      (15.05.10)

      Irak-Krieg: Video zeigt Kriegsverbrechen
      US-Hubschrauberbesatzung schießt auf Unbewaffnete
      (6.04.10)

      Kundus-Massaker: Organisation 85
      versucht zu vernebeln (19.03.10)

      Scheinwahl im Irak
      "... von einer korrupten Regierung ausgeplündert"
      (8.03.10)

      Sprunghafter Anstieg von Fehlgeburten in Falludscha
      Häufung von Mißbildungen und Krebsfällen bei Kindern
      auf dem irakischen Schlachtfeld vom Oktober 2004
      (15.11.09)

      "Friedens"-Präsident Obama erhöht Militär-Etat
      Neuer Weltrekord: 680 Milliarden US-Dollar (29.10.09)

      Hoher US-Militär gibt auf
      Persönlicher Rückzug aus Afghanistan (27.10.09)

      Globale Militärausgaben
      auf 1.464 Milliarden US-Dollar gestiegen (9.06.09)

      wikileaks.de gesperrt
      Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)

      Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)

      Barack Obama und das Nadelöhr
      ... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)

      Ehemaliger US-General John Abizaid
      bezeichnet Irak-Krieg als Krieg ums Öl (16.10.07)

      Afghanistan: Raubzug ohne Rücksicht
      Mohnernte liefert neuen Drogenrekord (27.06.07)

      Deutsche Soldaten in Afghanistan
      zeigen ihr wahres Gesicht
      Der Skandal ist die militärische Normalität (25.10.06)

      Irak: Folter as usual
      US-Menschenrechtsorganisation klagt an (25.01.05)

      "Operation Ali Baba"
      Auch britisches Militär folterte im Irak (19.01.05)

      Brief aus Falludscha an Kofi Annan (3.11.04)

      Medica Mondiale bestätigt: Der Afghanistan-Krieg
      brachte keine Verbesserung für die Lage der Frauen
      (24.08.04)

      Drei Kriegsgründe - drei Lügen
      US-Kommissionsbericht bestätigt indirekt
      einen Kriegsgrund (18.06.04)