4.01.2018

Türkische Killer-Kommandos in BRD?
Indizien belasten Erdogan

Einschußloch in Autoscheibe - Foto: Polizei Kassel - gemeinfrei
Ankara (LiZ). Garo Paylan, armenischer HDP-Abgeordneter in der türkischen National­versammlung, behauptete auf einer Pressekonferenz in Ankara, er wisse von konkreten Mordplänen an kurdischen und türkischen Oppositionellen sowie an JournalistInnen, die aus der Türkei nach Europa geflohen sind. Quellen hätten ihm von einer Attentatsliste berichtet.

Über die Auftraggeber der Killer-Kommandos schwieg sich Paylan aus - den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan direkt zu verdächtigen, wäre mit einer Selbsteinweisung ins Gefängnis gleichzusetzen. Laut Paylan stehen auf der Attentatsliste die Namen von türkischstämmigen Vertretern der Aleviten und Armenier sowie Journalisten, Schriftsteller und Akademiker. Darunter seien Persönlichkeiten, deren Ermordung Aufsehen erregen werde.

Angeblich hat die Oberstaatsanwaltschaft in Ankara ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um Paylans Angaben zu prüfen. Hiervon ist jedoch kaum etwas zu erwarten, denn bis heute ist auch der Hintergrund eines Verkehrsunfalls am 3. November 1996 im westtürkischen Susurluk ungeklärt. Dieser löste einen über die Grenzen der Türkei hinaus beachteten Skandal aus.

Am 3. November 1996 fuhr ein schwarzer Mercedes SEL 600 mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Landstraße 565 von Izmir nach Bursa. In Höhe der Stadt Susurluk rollte unmittelbar vor dem Mercedes ein unbeleuchteter Lastwagen von einer Tankstelle auf die Fahrbahn. Der schwerbeladene Lastwagen wurde bei dem Aufprall kaum von der Stelle bewegt. In dem Mercedes starben zwei Männer und eine Frau - ein weiterer Mann überlebt verletzt. Es handelte sich dabei um den Mafia-Paten Abdullah Catli, der von Interpol gesucht wurde, einen ehemaliger Polizeioffizier, einen Parlamentsabgeordneten der Partei des Rechten Wegs, die mit Tansu Ciller zu jener Zeit die Außenministerin stellte, und schließlich die Schönheitskönigin Gonca Us, eine ehemalige Geliebte eines Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT.

Im Kofferraum des Wagens fand die Polizei zwei Maschinenpistolen, fünf Pistolen mit Schalldämpfern, Wanzen, einen gefälschten Zufahrtsausweis für das türkische Parlamentsgelände. Catli hatte sechs Personalausweise bei sich, mit jeweils unterschiedlichen Namen, und einen Diplomatenpass, der ihn als Finanzinspektor auswies. Catlis Waffenschein soll die Unterschrift des damaligen Innenministers getragen haben, in dessen Gesellschaft sich das Quartett zuvor im Badeort Kusadasi vergnügt haben soll - so der 'spiegel' in einem Artikel vom 21. Februar 2011.

Weiter berichtete der 'spiegel': Catli begann seine kriminelle Karriere bei den türkischen Ultranationalisten, den Grauen Wölfen, die für zahlreiche Massaker an Kurden und türkischen Linken verantwortlich gemacht werden. Der ehemalige Polizeioffizier, ebenfalls tot, war nach erfolgreichen Sonder-Operationen gegen die kurdische Partei PKK zunächst zum Vize-Sicherheitspolizeichef von Istanbul befördert, dann aber wegen angeblicher Mafia-Kontakte an die Polizeiakademie am Bosporus abgeschoben worden. Das dritte Opfer, der Abgeordnete der damaligen Regierungspartei, befehligte eine Privatarmee von 10.000 Dorfschützern, die Massaker an Kurden verübten.

"Der Unfall von Susurluk offenbarte eine bis dahin kaum vorstellbare Symbiose von Politikern, Polizisten, Justiz und Militärs mit den ultranationalistischen Grauen Wölfen, mit Heroinhändlern und Mördern. Dieser tiefe Staat, der offenbar nach wie vor existiert, wird verdächtigt, nicht nur Killer zu beschäftigen, sondern auch den Drogenhandel zu kontrollieren und Kontakte bis hoch in die politische Elite des Landes zu pflegen." - so der 'spiegel' am 21. Februar 2011. Die Hintergründe des Unfalls, nach dessen Muster später weitere Politiker in Südosteuropa starben, wurden nie aufgeklärt.

Offenbar nehmen europäische Sicherheitsbehörden die Behauptungen Paylans ernst, denn einige türkische Oppositionelle erhielten verstärkten Personenschutz. Auch das Magazin 'focus' berichtet über eine ernstzunehmende Bedrohungslage für nach Europa geflüchtete türkische Oppositionelle: Der regierungsnahe Journalist Cem Kücük habe im türkischen TV-Sender TGRT den türkischen Geheimdienst MIT dazu aufgerufen, drei bis vier Gülen-Anhänger im Exil zu erschießen, um die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen einzuschüchtern.

Der türkische Geheimdienst MIT soll in Deutschland über rund 6.000 MitarbeiterInnen verfügen - nicht eingerechnet die Imame des Islamverbandes DITIB, die dafür bekannt sind, in Deutschland Spitzeldienst für den MIT zu leisten. Im Februar 2017 wurden Mord-Pläne gegen die beiden kurdischen Politiker Yüksel Koc, Bremen, und Remzi Kartal, Brüssel, bekannt. der türkische MIT-Agent, Mehmet Fatih S., wurde zwar gefaßt und angeklagt - erhielt jedoch lediglich eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Der Mordauftrag wurde gar nicht erst gerichtlich verhandelt. Offenbar gab es aus Berlin eine Weisung an die Staatsanwaltschaft, denn eine Spionage-Affäre hätte das deutsch-türkische Verhältnis, das im Februar 2017 eh äußerst angespannt war, zusätzlich schwer belastet.

Besonders gefährdet ist ein prominenter Journalist wie Can Dündar, der Fakten über die Zusammenarbeit zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und der IS-Terror-Miliz veröffentlicht hatte. Recep Tayyip Erdogan bezeichnete Dündar als "Spion". Kurz bevor Dündar nach Deutschland floh, entging er nur knapp einem Attentat. In Deutschland haben mittlerweile auch mehr als 400 geflohene türkische Beamte und Diplomaten Asyl erhalten. Doch diese fühlen sich hierzulande immer weniger sicher, nachdem sie von konservativen und nationalistischen Vereinen in Deutschland als "Vaterlandsverräter" angeprangert wurden. Die türkische Regierung fordert in immer kürzeren Abständen die Auslieferung von Erdogan-Gegnern, die nach Deutschland geflohen sind.

 

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Anmerkungen

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