16.11.2010

Stuttgart 21:
Lug und Trug
Landesbeteiligung verfassungswidrig
"Käfer und Kammmolche"

historischer Stuttgarter Hauptbahnhof Stuttgart (LiZ). Laut einem Gutachten des Berliner Verfassungsrechtlers Hans Meyer ist die Beteiligung des Landes Baden-Württemberg an den Baukosten des Mega-Projekts "Stuttgart 21" in Höhe von mehr als 950 Millionen Euro verfassungswidrig. Als unwahr stellte sich nun des weiteren die Äußerung von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer heraus, der Bundesrechnungshof habe sein Einverständnis zu "Stuttgart 21" erteilt.

Auf dem Bundesparteitag der "C"DU am Wochenende sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut vehement für das Mega-Projekt "Stuttgart 21" aus, das nach unabhängigen ExpertInnen mehr als 10 Milliarden Euro zu verschlingen droht und der überwiegenden Mehrheit der BahnkundInnen nur Nachteile bringt. Abschätzig erklärte sie, daß "Käfer und Kammmolche" ein Großprojekt nicht zum Scheitern bringen dürften.

Statt einer zur Ausrottung freigegebenen Tierart meldete sich nun der Berliner Rechtsprofessor und ehemalige Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität Hans Meyer mit einer Expertise zu Wort: Die Beteiligung des Landes Baden-Württemberg an den Baukosten von "Stuttgart 21" sei verfassungswidrig, da es sich bei dem Bauprojekt eindeutig um eine Bundesangelegenheit handele. Die Co-Finanzierung des Landes in Höhe von veranschlagten 950 Millionen Euro verstoße gegen Artikel 104 a des Grundgesetzes. Es schreibt vor, daß Bund und Länder ihre Ausgaben gesondert tätigen und daher die Finanzierungsbereiche klar voneinander trennen müssen. Das Schienenprojekt sei aber eine Bundesaufgabe und daher vom Bund allein zu bezahlen. Baden-Württemberg habe kein Recht, sich an dem Projekt finanziell zu beteiligen.

Eine rechtliche Handhabe eröffnet diese Expertise dennoch nicht. So können die "Grünen" im Stuttgarter Landtag getrost die Hände in den Schoß legen, denn für eine Organklage wären mindestens 25 Abgeordnete vonnöten und die pseudo-grüne Fraktion verfügt lediglich über 17. Auch die "S"PD wird sich nicht daran beteiligen.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in spe, kündigte derweil an, er werde im Falle einer Regierungsübernahme alles Geld, das das Land, die Stadt Stuttgart und die Region Stuttgart bereits in das Projekt gesteckt haben, zurückfordern: "Mit uns wird es keine Fortsetzung des Verfassungsbruchs geben." Tatsächlich jedoch war Kretschmann einer der ersten vehementen Befürworter der "Schlichtung", die gegenwärtig unter Vorsitz des früheren "C"DU-Generalsekretärs Heiner Geißler für die Aufmerksamkeit des Publikums sorgt, während unbeobachtet vollendete Tatsachen geschaffen werden. Selbst wenn Kretschmann als "grüner" Ministerpräsident gezwungen werden könnte, ein Referendum über "Stuttgart 21" zu ermöglichen, gibt es Mittel und Wege, beispielsweise mit Hilfe einer trickreichen Aufteilung der Fragestellung in drei Formulierungen, um am Ende eine Mehrheit für den Weiterbau an "Stuttgart 21" herauszulesen, die Kretschmann dann zum Vollzug "nötigen" würde. Nach den derzeitigen Umfrage-Ergebnissen kann sich Kretschmann tatsächlich Hoffnungen machen, baden-württembergischer Ministerpräsident einer "grün-roten" Koalition zu werden.

Die baden-württembergische "schwarze" Verkehrsministerin Tanja Gönner wies die Expertise aus Berlin umgehend zurück. 2007 habe ein anderes Rechtsgutachten festgestellt, daß der 950-Millionen-Euro-Anteil des Landes an der rund 2,9 Milliarden Euro teuren Schienenstrecke zwischen Wendlingen und Ulm, einem Teil-Projekt von "Stuttgart 21", rechtmäßig sei. In dem Gutachten von Klaus-Peter Dolde, auf das sich Gönner stützt, kam dieser zu der Erkenntnis, bei der Neubaustrecke handele es sich um eine "unechte Gemeinschaftsaufgabe" des Bundes und der Länder. Der Berliner Verfassungsrechtler hält dem entgegen, Doldes Rechtskonstrukt sei "eine nicht sehr intelligente Erfindung", die die Verfassung nicht vorsehe.

Unvorhergesehen erlitt nun auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer eine herbe Niederlage, die sich in die von den GegnerInnen von "Stuttgart 21" als "Lug und Trug" gewertete Reihe von öffentlichen Aussagen und Gutachten einordnen läßt. In einer schriftlichen Stellungnahme des Bundesverkehrsministeriums hatte es geheißen: "Die Einzelfinanzierungsvereinbarungen zu beiden Vorhaben wurden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesrechnungshof zwischen Bund und Deutscher Bahn am 2. April 2009 unterzeichnet." Der Bundesrechnungshof wies diese öffentlich wiederholte Behauptung nun scharf zurück und warf Ramsauer Falschaussagen vor. Zu keinem Zeitpunkt sei ein "Einvernehmen" zu den Finanzierungsverträgen zu Stuttgart 21 und zur ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm erklärt worden. Im Gegenteil hatte die Behörde Ende 2008 Mehrkosten von über zwei Milliarden Euro für das Projekt vorausgesagt. Bekanntlich gehörte der Bundesrechnungshof von Anfang an zu der KritikerInnen von "Stuttgart 21". Ramsauer sah sich nun gezwungen einzugestehen, er habe sich "mißverständlich" ausgedrückt.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

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      Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)

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