15.06.2010

Unsinniger CASTOR-Transport
von Hamburg nach Südfrankreich

Otto Hahn mit Atomreaktor Hamburg (LiZ).
Ausgediente radioaktive Uran- brennstäbe aus dem früheren deutschen Forschungsschiff 'Otto Hahn' sollen von Geesthacht bei Hamburg per LkW ins süd- französische Cadarache transpor- tiert werden. Vorgeblicher Zweck dieses Atommüll-Transports: In der Nuklear-Anlage bei Marseille sollen die Brennstäbe lediglich in andere Behälter umgeladen werden, um sie danach erneut quer durch Europa ins Zwischenlager Lubmin im Nordosten der BRD zu transportieren. Doch auch dort können sie nicht auf Dauer bleiben.

Das einzige mit einem Atomreaktor angetriebene deutsche Forschungsschiff, der Frachter 'Otto Hahn', wurde von der skandalumwitterten GKSS (Gesellschaft für Kernenergie- verwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH) in Geesthacht bei Hamburg Ende der 1950er Jahre, Anfang der 1960er konzipiert und unter Leitung der früheren Nazi-Atomforschers Erich Bagge zwischen 1963 und 1968 für 56 Millionen Mark gebaut. Weltweit verweigerten die meisten Häfen dem Schiff die Einfahrt und auch eine Passage durch den Suez- und durch den Panamakanal wurde der 'Otto Hahn' stets verwehrt. 1979 wurde der Atomreaktor ausgebaut und auf dem Gelände der GKSS zwischengelagert. Nach einigen Zwischenstationen als Containerschiff mit Dieselantrieb - unter anderem unter den Namen Susan, Helga und Carmen - wurde das Schiff im Frühjahr 2010 in Bangladesch verschrottet.

Das GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht bestätigte am 13. Juni der 'Bergedorfer Zeitung', daß außer dem Reaktordruckbehälter des ehemaligen Atomforschungs- schiffes 'Otto Hahn' auch 49 ausgediente und drei unbenutzte Brennstäbe seit mehr als 30 Jahren auf dem Gelände lagern. Bislang hieß es, daß diese auf dem Gelände eines Forschungszentrums in Karlsruhe zwischengelagert worden seien und sich in Geesthacht lediglich der leere Druckbehälter befinde. Dieses radioaktive Inventar soll nun im Juli in das Zwischenlager auf dem Gelände des stillgelegten DDR-Atomkraftwerks Greifswald bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern umgebettet werden. Ein Sinn dieser Aktion ist nicht erkennbar. Vollends absurd wird das Spiel mit dem Risiko, da die radioaktive Fracht angeblich zunächst in die rund 1.500 Kilometer entfernte Nuklearanlage Cadarache in Südfrankreich transportiert werden soll.

"Wir von der Bürgerinitiative haben immer wieder bei der GKSS nachgefragt, ob radioaktive Brennelemente der 'Otto Hahn' in Geesthacht seien, und haben immer ein Nein als Antwort bekommen", sagt Bettina Boll vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Geesthacht. Die langjährige Atomkraftgegnerin fordert nun Aufklärung. "Wir wollen wissen, warum die Brennstäbe überhaupt in Geesthacht gelagert wurden." Außerdem wollen die Geesthachter erfahren, was genau mit den Brennstäben passiert. Die genannte Zahl von insgesamt 52 nun zum Transport vorgesehenen Brennstäbe sind nur ein winziger Teil des radioaktiven Inventars, das vom Betrieb des "Atomschiffes" zukünftigen Generationen als Erblast überlassen bleibt. Ein einziges der Brennelemente, die im Reaktor der 'Otto Hahn' eingesetzt waren, enthielt mindestens 180 Brennstäbe. Die Brennelemente dieses Reaktor-Typs waren nach rund 900 Tagen Betrieb abgebrannt und mußten daher in den rund 11 Jahren, die das Schiff unterwegs war, mehrmals durch neue ersetzt werden.

Beim Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) war im Februar 2008 der Antrag auf Beförderungsgenehmigung (Identifikationsnummer 6895) für die 52 Brennstäbe eingegangen. Auf der Internet-Seite des BFS ist zu lesen, daß auf diesen Antrag hin nun der Transport nach Frankreich genehmigt wurde. "Die Brennstäbe werden zunächst in das Kernforschungszentrum Cadarache in Frankreich transportiert und dort zusammen mit Brennstoff aus dem früheren Reaktor des Forschungszentrums Karlsruhe in Castor-Behälter geladen", erklärte Oliver Breuer, Sprecher des Kieler Justizministeriums und der Atomaufsicht gegenüber der 'Bergedorfer Zeitung'.

Die GKSS habe keine Lagerbehälter, die für die langfristige Lagerung geeignet seien. Deshalb müssen die 49 ausgedienten und drei unbenutzten Brennstäbe nach Cadarache transportiert werden, um dort neu verpackt zu werden. Von Südfrankreich aus soll der radioaktive Müll dann wieder quer durch Europa gefahren werden: Im Zwischenlager Nord in Lubmin bei Greifswald werden dann voraussichtlich vier Castor-Behälter für einige Jahre abgestellt. Doch in der dortigen Lagehalle sind sie noch weniger vor möglichen Terroranschlägen geschützt als in einem Atomkraftwerk.

Von der GKSS wurde die berüchtigte Firma Nuclear Cargo + Service (NCS) im hessischen Hanau mit dem Transport beauftragt. Diese verfügt über CASTOR-Behälter vom Typ TN 72, die für den Transport derartigen radioaktiven Müll genehmigt sind. Die NCS wiederum hat die Fahrt nach Cadarache beim BFS beantragt und erhielt die Genehmigung, obwohl der geplante Straßentransport mehr Gefahren birgt als ein Transport auf der Schiene.

"Wenn schon dieser unsinnige Transport stattfindet, dann sollte er nicht auf der Straße erfolgen, sondern auf der sichereren Schiene", sagt Dirk Seifert, Energiereferent von 'Robin Wood'. Bettina Boll vom BUND weist zudem darauf hin, daß mit diesem Transport wieder ein Grundproblem der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie sichtbar werde: Niemand weiß, wohin mit dem radioaktiven Müll. Auch jetzt karre man die Hinterlassenschaften der 'Otto Hahn' quer durch Europa, um sie im Zwischenlager Lubmin zu parken, sagt Boll - "wieder ohne Entsorgungskonzept".

Laut Gerüchten soll der Straßentransport nach Cadarache bereits in den kommenden Wochen erfolgen. Die Anti-AKW-Bewegung bereitet sich bereits auf Blockaden vor, um auf das unverantwortbare Risiko solcher Transporte hinzuweisen. Doch das BFS erklärt, keinen Einfluß darauf zu haben, ob der radioaktive Müll auf der Schiene oder per LkW transportiert wird. Das "Versandstück" werde lediglich auf seine Tauglichkeit geprüft. Wenn das Versandstück die Sicherheit gewährleiste, müsse der Transport nach Atomgesetz genehmigt werden, unabhängig davon, ob auf der Straße oder per Bahn. Denn die Route, die Bestimmung und die Beförderungsart sei Sache der Bundesländer, durch die der Transport verläuft.

Ein Teil des radioaktiven Mülls der 'Otto Hahn' verbleibt allerdings vorläufig auf dem Gelände der GKSS: In Fässern gelagerte Kabel, Filter und Rohre - und der Reaktordruckbehälter des Schiffes, der in einem betonierten Senkschacht eingebunkert wurde. "Der Reaktordruckbehälter bleibt erstmal noch hier", sagt GKSS-Sprecher Torsten Fischer. Vermutlich steht der Abtransport der Brennstäbe im Zusammenhang mit der Stilllegung eines der beiden Versuchsreaktoren der GKSS. Der jüngere war nur von 1963 bis 1993 in Betrieb, während der ältere Reaktor, der im Jahr 1958 in Betrieb ging, nun stillgelegt werden soll. Die GKSS war in den vergangenen Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil Informationen auftauchten, wonach die zahlreichen Leukämiefälle im Umkreis der Anlage - direkt neben dem AKW Krümmel - auf einen Unfall im September 1986 zurückzuführen seien.

Nach Angaben der GKSS ist es nicht möglich, den Umweg nach Südfrankreich zu vermeiden, indem die Brennstäbe gleich im benachbarten Atomkraftwerk Krümmel in einen CASTOR verladen werden. "Es liegt keine Genehmigung vor, daß im Kernkraftwerk Krümmel mit Brennstoff der 'Otto Hahn' gehandhabt werden darf", bestätigte am Dienstag Oliver Breuer, Sprecher des für die Atomaufsicht zuständige Kieler Justizministeriums. Eine Ausnahmegenehmigung sei nicht beantragt worden, sagt Breuer. In der Anti-AKW-Bewegung müssen all diese Umstände wie eine Provokation erscheinen.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      CASTOR nach Gorleben genehmigt
      Widerstand angekündigt (3.05.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      CASTOR-Transporte ins Zwischenlager Ahaus
      Der Weg zum illegalen Endlager (14.11.09)

      Unverantwortlicher Umgang
      mit dem hochgiftigen Bombenstoff Plutonium (15.10.09)

      Karlsruhe: "Atomsuppe" wird verglast
      Verbleib nach wie vor ungeklärt (17.09.09)

      Terrorziel Atomkraftwerk
      TV-Magazin 'Frontal21' veröffentlicht Geheimbericht
      (17.06.09)

      EURATOM,
      Milliarden-Subventionen und die Bombe (22.04.09)

      Nach dem Wahljahr 2009:
      Im Jahr 2010 drei CASTOR-Transporte? (15.04.09)

      Nachtrag zum Gorleben-CASTOR:
      Amt mußte Strahlenmeßgeräte leihen (17.02.09)

      Kein Atommüll-Zwischenlager in Hanau
      Kommunales Verbot von Gericht bestätigt (3.02.09)

      Plutonium ahoi!
      Geheime PU-Verschiffung über den Ärmelkanal (21.05.08)

      Kinderkrebs auch am Standort des 1989 stillgelegten
      THTR Hamm-Uentrop?
      Atomkraft-GegnerInnen fordern Untersuchung (25.04.08)

      Krebs-Häufung in der Nähe von AKWs
      Neue Studie im Auftrag des BFS (7.12.07)

      Signifikant erhöhtes Leukämie-Risiko bei Atomkraftwerken
      Wissenschaftliche Studie über 136 AKWs (21.07.07)

      Leukämiefälle in Geesthacht
      ExpertInnen-Anhörung / Neue Analysen angekündigt
      (13.04.07)

      Neue Spuren im Leukämie-Skandal Geesthacht (5.09.06)

      50 Jahre GKSS
      und Deutschlands Streben nach der Atombombe
      (17.05.06)

      Atombomben-Experimente in Deutschland?
      Am 12. September 1986... (3.04.06)

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Folge 12 der Info-Serie Atomenergie