1.06.2013

Blockupy erneut gescheitert
Polizei als schwarzer Block

Polizei als schwarzer Block, Franfurt a.M., 1.06.13
Frankfurt a.M. (LiZ). Nach dem fehlgeschlagenen Start von 'blockupy' am Freitag sollte heute um 11 Uhr sollte die "Internationale Groß­demonstration" beginnen. Erwartet wurden 20.000 TeilnehmerInnen. Gegen 11:15 Uhr ist der Platz mit rund 7000 Menschen (Polizei: 2500) einigermaßen gefüllt. Doch ebenso wie am Vortag erweist sich die Polizei als illegaler schwarzer Block.

Obwohl ein Sonderzug aus Stuttgart offenbar einige Kilometer vor Frankfurt steckengeblieben ist, beginnt die Auftaktkundgebung um 11:19 Uhr. Zu Beginn kommen KritikerInnen der deutschen Asylpolitik zu Wort. Am gestrigen Freitag war der geplante Protest am Abschiebeflughafen Frankfurt von einem illegalen Polizeieinsatz weitestgehend verhindert worden. Katja Kipping, Co-Vorsitzende der Linkspartei, darf ihre reformistischen Parolen verkünden. Marika Frangakis von Attac Griechenland berichtet über die Lage in ihrer Heimat. Sie fordert eine Ende der "Spar"-Politik der Troika. Und die erstarkende griechische Rechte müsse bekämpft werden - die Faschisten von der "Goldenen Morgenröte" würden immer stärker. Zwei Rednerinnen vom feministischen Bündnis "Care Mob" kritisieren die besondere Belastung von Frauen in der Krise: "Nach der Arbeit wartet zu Hause oft eine zweite Schicht." Sorge- und Pflegearbeit werde ins Private verschoben, müsse aber insgesamt neu geregelt werden. "Unsere Care-Revolution beginnt hier!"

Kurz nach 12 Uhr soll sich die Demo in Bewegung setzen. Geplant ist die Strecke über die Wilhelm-Leuschner-Straße in Richtung City und zum Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Stadtregierung hatte vergeblich versucht, eine Route am Mainufer durchzusetzen. Über mehrere Instanzen hin bis zum Verwaltungsgerichtshof (VGH) ist sie damit gescheitert.

In den ersten Reihen darf der sogenannte antikapitalistische Block marschieren, der offenbar der Polizei einen Vorwand zum Eingreifen bieten möchte. Einige tragen Blöcke aus Polystyrol vor sich her, die in Form großer Bücher geformt sind. Das 'Kapital' von Marx, die 'Dialektik der Aufklärung' von Horkheimer und Adorno, aber auch irgend etwas mit "Harry Potter" ist dabei. Aus der Sicht der Polizei stellt dies "Passivbewaffnung" dar - und ebenso wird sie die übergezogenen schwarzen Kapuzen von weniger als der Hälfte der DemonstrantInnen in jenem Block als verbotene "Vermummung" werten. Einige schwarze Sonnenbrillen und bemalte Regenschirme ergänzen das Bild.

Gegen 12:40 Uhr erreicht der Demo-Zug die Hofstraße. Ein Polizeihubschrauber verbreitet massiven Lärm über den TeilnehmerInnen. Wenige Minuten später und noch vor Erreichen der EZB kommt es zu einem unprovozierten Polizei-Einsatz. Sie stürmt in die Reihen der DemonstrantInnen und trennt die Spitze der Demo-Zuges von den Nachfolgenden ab. Eine Gruppe von mehreren hundert Menschen wird ohne erkennbaren Grund eingekesselt. In Durchsagen fordert die Polizei den hinteren Teil der Demo dazu auf, die ursprünglich von der Stadtregierung gewünschte Route am Mainufer zu nehmen.

"Das ist skandalös. Die Polizei versucht offensichtlich, das Urteil des VHG zu unterlaufen und die Demo auf die von der Stadt gewünschte Route zu zwingen," erklärt Blockupy-Sprecherin Ani Dießelmann. "Die Route an der EZB vorbei wurde über mehrere rechtliche Instanzen genehmigt. Hier setzt sich die Exekutive über den Rechtstaat hinweg."

Gegen 13 Uhr ist zu erfahren, daß die Polizei behauptet, aus dem vorderen Teil des Demo-Zuges seien Feuerwerkskörper geworfen worden. Außerdem seien "Vermummte" in der Demo. Dann heißt es, es habe "massive Straftaten" gegeben. Laut Polizei seien TeilnehmerInnen "mit Schutzkleidung passiv bewaffnet". Aus juristischer Sicht rechtfertigen diese Argumente keineswegs das Vorgehen der Polizei.

Die Blockupy-OrganisatorInnen geben die Nachricht durch, der Demo-Zug stehe wegen "ein bißchen Rauch". Die vorderen tausend DemonstrantInnen seien von der Polizei eingekesselt und es habe Pfefferspray-Einsatz gegeben. Nach eigener Darstellung fordern die Blockupy-OrganisatorInnen die Polizei auf, den Demonstrations-TeilnehmerInnen nicht länger ihr Recht auf Versammlungsfreiheit zu rauben: "Wir lassen uns von der Polizei nicht das Recht absprechen¸ gemeinsam auf der vom VGH bewilligten Route zum Ort der Abschlusskundgebung vor der EZB zu ziehen. Der Protest gegen die Politik der Troika muß vor den Ort ihrer Entstehung getragen werden." Über die Verhandlungen mit der Polizei gibt es verschiedene Darstellungen. Zum einen heißt es, die Polizei habe gefordert, daß der "antikapitalistische Block" alle potenziell gefährlichen Gegenstände abgibt und alle Personen des Blocks durchsucht werden können. Zum anderen ist zu hören, die Polizei gehe auf keine der Vorschläge der Blockupy-OrganisatorInnen ein, während diese vorgeschlagen hätten, daß die Menschen im Kessel alle Vermummungen ablegen - der Polizeikessel und das Spielen auf Zeit ziele darauf ab, die Demo zu "spalten".

Auch nach einer Stunde heißt es, Polizei und Demo-Leitung seien weiterhin am verhandeln. Eine halbe Stunde darauf gibt die Polizei bekannt, AnhängerInnen des "Schwarzen Blocks" seien eingekesselt worden. Es handele sich um 200 bis 400 Vermummte, diese führten "Passivbewaffnung" wie Schilder mit sich und spannten Seile an den Rändern des Demonstrationszuges. Außerdem seien aus ihrem Kreis Feuerwerkskörper und Farbbeutel auf Polizeibeamte geworfen worden.

Gegen 15 Uhr wird verbreitet, die Polizei beginne, die etwa 500 Eingekesselten jetzt einzeln zu durchsuchen - und bei allen die Personalien festzustellen.

Offenbar war der Demo-Aufruf zu 'Blockupy' so unbestimmt, daß nicht nur eine sozialdemokratisch orientierte Politikerin der Linkspartei wie Katja Kipping teilnimmt, sondern auch ein Mitglied der neoliberalen "S"PD, deren Frankfurter Vorsitzender und DGB-Organisationssekretär Mike Josef mitmarschiert. Dieser meldet sich aus dem hinteren Teil zu Wort und beklagt, die "Wut" der Menschen werde immer größer und wenn die Situation weiter eskaliere könne es zu Gewalttätigkeiten kommen.

Die Polizei scheint Mike Josef beim Wort nehmen zu wollen und stürmt gegen 15:15 Uhr an der Ecke Hofstraße / Neue Mainzer Straße in den Demo-Zug, drängt und schubst die Menschen, wirft Einzelne zu Boden. Zwei der zu Boden gerissenen werden ohne ersichtlichen Grund verhaftet. Immer mehr Ärger und Frustration verbreiten sich - viele fordern, die Anmelder sollten die Demo auflösen.

Um 16:10 Uhr verkündet die Polizei erneut, daß sie die Personalien der Eingekesselten feststellen will. Da sich dies weitere Stunden hinziehen wird, ist mit einer Fortsetzung der Demo zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu rechnen. Blockupy-Sprecher Roland Süß erklärt: "Die Strategie der Polizei ist offensichtlich: Sie will eskalieren. Die Demonstranten sind der Polizei in den Verhandlungen weit entgegen gekommen, die Polizeiführung in Wiesbaden lehnt trotz weit gehender Angebote der Demonstrierenden jede Kooperation ab. Die politische Verantwortung für die Verhinderung der genehmigten Demonstration liegt in Wiesbaden."

Weiter heißt es in der Erklärung von Süß: "Die Eingekesselten haben sich bereit erklärt, von der Polizei beanstandete Gegenstände zurück zu lassen. Selbst die Demo-Route entlang dem Mains hat die Demo-Leitung unter Protest akzeptiert. Doch die Polizeileitung in Wiesbaden lehne jede Deeskalation ab und besteht darauf, alle eingekesselten Demonstranten Leibesvisitationen und Gepäckkontrollen zu unterziehen. Als die Demonstranten diese Schikane zurückwiesen und auf ihrem Recht bestanden, die Demonstration gemeinsam zu Ende zu führen, griff die Polizei die Demonstration mit Pfefferspray und Schlagstöcken an." Am Jüdischen Museum behandelten SanitäterInnen etliche DemonstrantInnen wegen der Folgen von Pfefferspray-Angriffen der Polizei. Nach Angaben der SanitäterInnen mußten rund 20 mit Pfefferspray Verletzte versorgt werden.

"Alles deutet darauf hin, daß diese Eskalation von der Polizeiführung in Wiesbaden von langer Hand vorbereitet worden und der Kessel an dieser Stelle von vornherein geplant worden ist," sagte Blockupy-Sprecherin Ani Dießelmann.

Offenbar wurde den Polizeiverantwortlichen vor Ort keinerlei Verhandlungsspielraum zugestanden und die Entscheidungen wurden von der Polizeileitung in Wiesbaden getroffen. Ein wesentlicher Bestandteil der Polizeistrategie scheint - wie schon am Vortag am Frankfurter Flughafen - darin zu bestehen, das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit durch ein Spielen auf Zeit zu unterlaufen. Erst gegen 16:40 Uhr führt die Polizei die ersten Menschen aus dem Kessel ab.

Nach 17 Uhr verlassen am Ende des Demo-Zuges immer mehr Menschen die Straßen. Andere wollen solange bleiben, bis die Demonstration als aufgelöst erklärt wird. Das Stadtmagazin 'Journal Frankfurt' meldet, auch einer seiner Reporter sei von Polizisten mit Pfefferspray besprüht worden. Auch an anderen Stellen der Demo kam es zu unprovozierten Polizei-Übergriffen auf JournalistInnen.

Gegen 17:45 Uhr sagt der Frankfurter "S"PD-Chef, der mittlerweile rund fünf Stunden herumgestanden ist: "Frankfurt gibt in Sachen Versammlungsfreiheit ein ganz schwaches Bild ab. Man kriegt das Gefühl, das Urteil des Verwaltungsgerichtshof soll politisch unterlaufen werden." Immer noch bemühen sich die OrganisatorInnen, möglichst viele DemonstrantInnen vor Ort zu halten. Doch immer mehr Menschen aus dem hinteren Abschnitt der Demo gehen nach hause. Gerüchte werden laut, es habe in den Reihen der DemonstrantInnen Schwerverletzte gegeben. Unter den Verletzten sollen auch JournalistInnen sein. Um 20:30 Uhr teilt ein Polizeisprecher mit, es seien bisher von rund 200 DemonstrantInnen die Personalien aufgenommen worden, etwa 150 Menschen befänden sich noch im Kessel.

Wieder eine Stunde später gibt der Frankfurter Polizeipräsident Achim Thiel eine Pressemitteilung heraus: Die Kritik an der Polizei sei unbegründet. Die "vermummten und gegen Auflagen verstoßenden Demonstranten" hätten der Polizei heute keine andere Wahl gelassen, als die Demonstration aufzuhalten. Dem Versammlungsleiter wirft Thiel "unkooperatives Verhalten" vor. Mutmaßungen, die Polizei habe den Kessel von langer Hand geplant, seien "völlig aus der Luft gegriffen". Es ist völlig ungewöhnlich, daß sich ein Polizeipräsident während eines laufenden Einsatzes äußert.

Erst gegen 22:30 Uhr - also nach über neuen Stunden - ist der Kessel ausgelöst und beide Teile des Demonstrations-Zuges können sich wieder vereinigen. Es sind noch 2000 bis 3000 Menschen auf der Straße, die sich als Demo-Zug in Richtung Bahnhof aufmachen. Auch sie werden von der Polizei weiter bedrängt, schikaniert und gefilmt. Weitere 30 Minuten später erklären Blockupy-SprecherInnen die Demo für beendet.

Der Verlauf der beiden Tage bestätigt die Analyse und Kritik des vergangenen Jahres (siehe 27.05.12). Die OrganisatorInnen haben kein tragfähiges Konzept gewaltfreier Aktion. Sie haben die antidemokratische und einem Rechtsstaat hohnsprechende Praxis der Polizei trotz der Erfahrungen des vergangenen Jahres offenbar nicht erwartet und zeigten sich dem hilflos ausgeliefert. Auch die politische Zielrichtung des Aufrufs und der organisierenden Gruppierungen war entsprechend diffus.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Blockupy-Proteste in Frankfurt
      Flughafen von Polizei abgeriegelt (31.05.13)

      Enge und häufige Kontakte Merkels
      zu Bankern aufgedeckt (20.02.13)

      Steinbrück für höhere Strompreise
      Der "rote" Lobbyist für ThyssenKrupp (12.12.12)

      Strompreiserhöhungen wegen Energie-Wende?
      Zur Zeit werden Lügen verbreitet (9.11.12)

      Atomminister Altmaier
      und das soziale Gewissen (15.08.12)

      Blockupy - erfolgreich oder gescheitert?
      Eine Analyse und Kritik (27.05.12)

      Merkels "Atom-Ausstieg"
      Täuschungsversuch wie vor 11 Jahren
      Wie Kretschmann 2002 einen
      "politischen Selbstmord" überlebte (30.05.11)