2.02.2012

Wald-AIDS greift um sich
Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt

Wald Berlin (LiZ). Daß sich der Zustand der deutschen Wälder gegenüber dem Vorjahr verschlechtert hat, konnte heute auch die aktuelle Bundesagrar-Ministerin Ilse Aigner nicht leugnen. Den Buchen geht es so schlecht wie noch nie zuvor in der nunmehr 28 Jahre währenden Geschichte der von Menschen verursachten Immunschwäche-Erkrankung Wald-AIDS. Kein Wort findet sich im "Waldzustandsbericht 2011" über die Ursachen. Die industrielle Landwirtschaft und die Massentierhaltung wird stattdessen weiterhin rücksichtslos subventioniert.

57 Prozent der Buchen - so viel wie noch nie zuvor seit dem Beginn der Waldschadenserhebungen im Jahr 1983 - sind krank. In den vergangenen 28 Jahren seit Beginn der Erhebungen war lediglich im Jahr 2004 mit seinem extrem heißen Sommer mit 54 Prozent ein ähnlich hoher Wert zu verzeichnen. Laut der von den Forstämter vorgenommenen Bestandsaufnahme im Jahr 2011 zeigen mehr als die Hälfte aller Buchen in deutschen Wäldern einen "markant schlechteren Kronenzustand". Lediglich bei den Eichen konnte - bei insgesamt alarmierendem Krankheitszustand - eine Erholung registriert werden.

Waldschäden von 1983 bis 2011

vergrößerte Grafik: hier

In die höchste Schadensklasse wurden 28 Prozent aller Waldbäume eingestuft (2010: 23 Prozent). Bei den Buchen stieg der Anteil der höchsten Schadensklasse von 33 auf 57 Prozent. Der vor einem Jahr veröffentlichte Wert von 33 Prozent, der im langjährigen Vergleich als "Ausreißer" auffällt, war von Fachleuten als wenig glaubwürdig eingeschätzt worden. Mit besonderer Sorge betrachten ForstwissenschaftlerInnen die seit dem Jahr 2000 gehäuft auftretenden "Mastjahre" der Buche. In einer Art "letztem Aufbäumen" produzieren die Buchen eine extreme Masse an Bucheckern, um das Überleben der Art langfristig zu sichern. Die Substanz, die für die Produktion der Frucht aufgebracht wird, fehlt den Buchen dann allerdings für die Ausbildung der Blätter. Die Überlebenschance der so geschwächten Bäume sinkt dadurch dramatisch. Vom Bundesagrarministerium heißt es hierzu mit dem seit Jahren bekannten Zynismus: "Dieser natürliche Prozess dient der Fortpflanzung, bremst aber den Holzzuwachs und führt zu einer vermehrten Baumkronen-Verlichtung."

Bei den Eichen verzeichnet der "Waldzustandsbericht 2011" eine Erholung. Um 10 Prozent sank der Anteil der schwer geschädigten Eichen auf 41 Prozent - siehe die schwarze Linie in der Grafik. Dennoch können laut Bericht nur 21 Prozent als gesund eingestuft werden (2010: 17 Prozent) - dunkelgrüne Linie. Zum Vergleich: Bei der Buche können laut Bericht nur 12 Prozent (2010: 20 Prozent) als gesund gelten.

Nach wie vor wird auch in den Mainstream-Medien nahezu ausnahmslos die Hauptursache von Wald-AIDS, die schädigende Wirkung von Emissionen aus der industriellen Landwirtschaft, totgeschwiegen. Immerhin nennt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in seiner heutigen Stellungnahme als Ursache "die hohe Belastung durch Ammoniak und Stickoxide aus Landwirtschaft und Verkehr" und fordert, "die industrielle Tierhaltung in Deutschland, die für 80 Prozent der Ammoniak-Emissionen verantwortlich ist," zu beenden.

Doch die massive Subventionierung der industrielle Landwirtschaft - insbesondere der Massentierhaltung - wird unbeirrt fortgesetzt. Ammoniak-Emissionen und die Überdüngung der Felder mit Gülle sind die Folge. Durch Wind und Regen wird der Chemikalien-Cocktail aus den landwirtschaftlichen Betrieben, aus Kraftwerken, Straßenverkehr und Hausheizungen in die Wälder verfrachtet. Das Wurzelgeflecht der Bäume und die dort lebenden Mikroorganismen, die für das Überleben der Bäume unabdingbar sind, werden mehr und mehr geschädigt. Von dieser Anklage kann lediglich die Ökolandwirtschaft ausgenommen werden, die beim Tierbestand feste Obergrenzen pro Fläche einhält.

Wald bedeckt rund ein Drittel der Fläche der BRD. Auch wenn es infolge der Aufgabe landwirtschaftlicher Kleinbetriebe - insbesondere in Höhenlagen - örtlich zu einer geringfügigen Vermehrung der mit Wald bewachsenen Fläche gekommen ist, kann hieraus leider kein Rückschluß auf den Krankheitszustand gezogen werden. Im August 2010 machte sich der bayerische Forstminister Helmut Brunner mit dem Eigenlob lächerlich, die Waldfläche im "Freistaat" habe um 268 Hektar zugenommen, dies entspreche 375 Fußballfeldern. Bei einer Gesamtfläche der bayerischen Wälder von 2,5 Millionen Hektar entsprach die genannte Zunahme wenig mehr als einem Zehntel Promille. Darüber hinaus war das Eigenlob, mit dem sich Brunner als Kämpfer um den Erhalt des Waldes stilisieren wollte, schon im Ansatz verfehlt.

Ähnlich erging es im Jahr 2003 der damaligen Bundesagrar-Ministerin Renate Künast von den Pseudo-Grünen. Noch im Juli 2003 hatte sie getönt: "Wir haben den Trend umgekehrt" (Welt am Sonntag), "Rot Grün" sei "auf dem besten Wege das Waldsterben zu besiegen" und in den Schlagzeilen hieß es schon "Waldsterben in Deutschland gestoppt". Doch spätestens Ende 2003 wurde erkennbar, daß sich im Gegenteil der Zustand der deutschen Wälder weiter verschlechtert hatte. Obwohl der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Höhepunkt des BSE-Skandals im Jahr 2001 den amtierenden "roten" Agrar-Minister Karl-Heinz Funke gegen Künast eingetauscht und großmäulig eine Agrar-Wende und das "Ende der industriellen Tierproduktion" versprochen hatte, gab es keinen realen Kurswechsel, sondern lediglich Korrekturen am Image.

Wer wirklich etwas für den Erhalt und die Genesung der deutschen Wälder tun möchte, darf sich nicht auf "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" verlassen, sondern muß für die Durchsetzung der Agrar-Wende, der Energie-Wende und der Verkehrs-Wende kämpfen. Insbesondere kann eine Energie-Wende hin zu einer Vollversorgung durch erneuerbare Energien nur dann durchgesetzt werden, wenn ein realer Atom-Ausstieg erkämpft wird. Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Unterstützung von vier Parteien im Sommer 2011 verkündete Atom-Ausstieg ist ebenso eine arglistige Täuschung wie der von "Rot-Grün" im Jahr 2000 verkündete Atom-Ausstieg und die im Jahr 2001 verkündete Agrar-Wende. Erst eine tiefgreifende Veränderung der Wirtschaft im Energie-, im Verkehrs- und im Agrar-Sektor wird einer Dezentralisierung und damit Demokratisierung der Wirtschaft ermöglichen.

Und erst auf dieser ökonomischen Basis wird es möglich sein, eine Demokratisierung der Politik zu realisieren. Denn es ist grundsätzlich nicht möglich, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen: Im Kapitalismus gibt es kein "Primat der Politik über die Ökonomie", sondern die Politik wird im Gegenteil überwiegend von Kapital-Interessen bestimmt. Von jeher war es eine Illusion, über den Weg politischer Veränderungen, also Veränderungen des Überbaus, die gesellschaftliche Basis, also die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft, transformieren zu können. Eine solche Transformation der Ökonomie, die nicht zuletzt nötig ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden, erfordert allerdings mehr, als nur im Bioladen einzukaufen oder eine Solaranlage auf dem Dach zu installieren.

 

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Anmerkungen

Siehe auch:

      Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
      Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)

      Keine Entwarnung bei Wald-AIDS
      Zustand kaum verändert (1.02.11)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Schäden innerhalb der Schwankungsbreite
      Zustand der Eichen nach wie vor "alarmierend" (27.11.10)

      Appell gegen Massentierhaltung
      Für eine Agrar-Wende (23.11.10)

      Bayerischer Forstminister
      und wenig Promille (18.08.10)

      Globale Waldvernichtung:
      13 Millionen Hektar pro Jahr (26.03.10)

      Wald-AIDS weiter virulent
      Aigner veröffentlicht "Waldzustandsbericht 2009"
      (22.01.10)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg:
      Oettinger legt desaströsen "Waldzustandsbericht" vor
      Haupt-Verursacher Massentierhaltung weiter verleugnet
      (1.12.09)

      Baden-Württemberg: Wald liefert 37 Prozent
      weniger Gewinn
      Wald-AIDS, Nachwirkungen von Sturm Lothar
      und Klimawandel spürbar (21.08.09)

      Trotz Wald-AIDS:
      Deutsche Forstwirtschaft nicht nachhaltig (21.07.09)

      "Waldzustandsbericht" 2008 veröffentlicht
      Wald-AIDS verschlimmert sich schleichend (21.02.09)

      Wald-AIDS auch in den USA
      Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)

      Wald-AIDS:
      Elende Zustände in Baden-Württemberg (18.11.08)

      Wald-AIDS wird beschwiegen
      Mainstream-Medien leugnen weiterin Hauptverursacher
      (19.03.08)

      Wald-AIDS im Jahr 2007
      und das Elend der Politik (30.01.08)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Nur drei Jahre seit 1983 waren schlimmer... (24.11.07)

      Wald-AIDS im Jahr 2006
      Haupverursacher Landwirtschaft (25.01.07)

      Seehofer will die jährlichen
      "Waldschadensberichte" canceln (14.07.06)

      Wald-AIDS im Jahr 2005
      Der Waldzustandsbericht und die Ursachen (22.01.06)

      Der Wald hat AIDS
      "Rot-Grün" schaut zu (18.03.05)

      Wald-AIDS so schlimm wie nie zuvor (8.12.04)

      Wald-AIDS - Zustand schlimmer als 1983 (19.10.04)

      WWF sieht "Rot-Grün" auf dem Holzweg
      "Holz-Charta" offenbart Mißachtung der Wälder (3.09.04)

      Der Wald hat AIDS
      Aktuelle Befunde am Krankenbett (28.06.04)

      Auch "Rot-Grün" kann nicht länger leugnen:
      Dem Wald geht's immer schlechter (12.12.03)

      Waldsterben trotzt Künast
      Optimismus allein nützt nichts (23.10.03)

      Waldsterben virulent (29.08.03)

      Künast zum Haartest? (15.07.03)