1.12.2010

Kommentar

Stuttgart 21
Schlichtung oder schlicht Volksverdummung?

historischer Stuttgarter Hauptbahnhof Als gebürtiger Stuttgarter hätte ich mir gewünscht, daß es beim Konflikt um das Mega-Projekt "Stuttgart 21" tatsächlich zu einer Schlichtung gekommen wäre. Ich benutze hier den von Partei-PolitikerInnen so häufig strapazierten Konjunktiv des Verbs wünschen ganz bewußt, weil es leider von vorn herein klar war, daß es sich lediglich um eine reine Show-Veranstaltung und nicht um eine Schlichtung handeln würde.

Der Charakter der von Heiner Geißler, dem früheren "schwarzen" Generalsekretär Helmut Kohls, geleiteten Veranstaltung war aus zwei Gründen von Anfang an klar: Erstens ist eine Schlichtung dann eine Farce, wenn das Ergebnis bereits zu Beginn feststeht - und das stand fest, weil die Betreiber-Seite unmißverständlich kundtat, das Projekt nicht zur Disposition zu stellen. Zweitens gehört, wie Geißler selbst ungeschickt zu Beginn öffentlich sagte, zur Friedenspflicht während einer Schlichtung, daß keine der beiden Seiten vollendete Tatsachen schafft, also: ein Bau-Stop. Geißler hatte den Bau-Stop denn auch konsequenter Weise verkündet, mußte dann aber wegen der kompromißlosen Haltung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus und des Bahn-Chefs Rüdiger Grube einen Rückzieher machen. Mappus machte Geißler schnell klar, daß mit ihm nur "über alle Vorschläge unterhalb eines Bau-Stops oder der Einstellung des Projekts" zu reden sei. Ein konsequenter Rückzieher hätte allerdings geheißen, das Amt des Schlichters niederzulegen. So war also klar, daß es bei dieser Veranstaltung lediglich darum gehen sollte, das Projekt zu "kommunizieren". Wenig verwunderlich - vor dem Hintergrund ihres bisherigen Agierens - war ebenso, daß sich sechs Personen fanden, die sich als "Speersitze" der Projekt-GegnerInnen aufspielten und dieser Show den Anstrich von Ernsthaftigkeit verleihen sollten.

Eine weitere Bestätigung der Einschätzung, daß es sich bei der Veranstaltung nur um Show handelte, lieferte am 17. November die Veröffentlichung interner Unterlagen durch den 'stern', aus denen hervorgeht, daß der nach außen hin behauptete Kostenrahmen nicht eingehalten werden kann und daß dies die Betreiber-Seite genau weiß. Wie bei einer echten Schlichtung war Mitte Oktober vereinbart worden, daß sämtliche Fakten auf den Tisch kämen. Zu recht zog daher auch der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei- Fraktion im Bundestag und früherer Landesvorsitzender der baden-württembergischen Sozialdemokraten (1987 - 1999), Ulrich Maurer, den Schluß, daß die "Schlichtungsgespräche nur eine Farce" waren, "um die Gegner von Stuttgart 21 und die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen."

Auch in den darauffolgenden Wochen wurde mehrfach deutlich, daß die Bahn AG mauerte und die Herausgabe entscheidender Unterlagen verweigerte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten Beteiligte, die bis dahin noch glaubten, es handele sich ernstlich um eine Schlichtung, die Bühne verlassen müssen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, ob es sich bei den bekannten sechs Personen um unfreiwillige Komparsen oder professionelle Falschspieler handelte.

Ende November stellte Matthias von Hermann von den 'ParkschützerInnen' in einem Interview mit der Tageszeitung 'junge welt' fest: "Natürlich hatten die Befürworter von »Stuttgart 21« vor, Demonstranten mit dem Argument von der Straße fernzuhalten: »Warten wir erst einmal ab, jetzt wird geredet.« Das war ein Spiel auf Zeit. Zugleich hat man versucht, die Fakten des Neubaus unterm Deckel zu halten. Die Bahn AG hat entscheidende Dokumente gar nicht oder nur zugangsbeschränkt vorgelegt, so daß sie nicht auswertbar waren. Das zeigt, daß wir auf das Wort von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus und von Bahn-Chef Rüdiger Grube nichts geben können. Die Gespräche waren eine Farce."

Nach dem Auftakt und dem, was im Verlauf der vergangenen sechs Wochen sichtbar wurde, war ohne sonderlich Prophetengabe vorhersehbar, was Heiner Geißler am Ende zum besten geben würde. Daß er sein Plazet für einen Weiterbau des Mega-Projekts mit einigen Dreingaben vergoldete, könnte sich für die "Stuttgart-21"-GegnerInnen noch als Danaer-Geschenk herausstellen. Denn in einigen Jahren können die Projekt-Betreiber dann ungeniert argumentieren, die Kostenüberschreitung resultiere aus den teuren Nachforderungen der "Geißler-Schlichtung". Zugleich wird es damit um so wahrscheinlicher, daß "Stuttgart 21" letztlich - wie etwa der Schnelle Brüter Kalkar im Jahr 1991 - wegen Geldmangels eingestellt werden muß und eine riesige Baugrube in der Mitte Stuttgarts zu einem weiteren Mahnmal der gescheiterten Gigantomanie des vergangenen Jahrhunderts wird.

 

Klaus Schramm

für die

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Geißler am Ende der Schlichtung
      Karikatur von Samy (30.11.10)

      Stuttgart 21 - MONITOR bestätigt Verdacht gegen Mappus
      Direktive kam von oben (22.11.10)

      stern: Erneut Millionenschwindel bei Stuttgart 21
      "Schlichtung ist Verdummung" (17.11.10)

      Stuttgart 21: Lug und Trug
      Landesbeteiligung verfassungswidrig
      "Käfer und Kammmolche" (16.11.10)

      Stuttgart 21 - Neue Bäume
      im gerodeten Teil des Schloßgartens (31.10.10)

      Die Polizei: Dein Freund ...
      ... und Steinewerfer (18.10.10)

      Stuttgart 21
      Verrat der Funktionäre (15.10.10)

      110.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      Merkel warnt vor "Unregierbarkeit" (9.10.10)

      100.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      "Mappus muß weg!" (2.10.10)

      Stuttgart 21 - "Mappus läuft Amok"
      Hunderte Verletzte im Stuttgarter Schloßgarten
      (30.09.10)

      Stuttgart 21
      Stern enthüllt Chaos-Planung (29.09.10)

      Weiter Zehntausende gegen Stuttgart 21
      30 Festnahmen nach Demo (25.09.10)

      69.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      Bahn-Chef Grube schließt höhere Kosten
      für das Mega-Projekt nicht mehr aus (11.09.10)

      Stuttgart 21: Polizei beendet Baumbesetzung
      "S"PD plötzlich für Volksentscheid (7.09.10)

      Stuttgart 21
      Spaltungsversuch der Pseudo-Grünen gescheitert
      (6.09.10)

      60.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
      Baumbesetzung im Schloßgarten (3.09.10)

      Forsa-Umfrage: Absolute Mehrheit gegen Stuttgart 21
      Pseudo-Grüne versuchen Widerstand zu spalten
      865 Millionen Euro neue Kosten für Ba-Wü (2.09.10)

      Stuttgart 21 - 40.000 protestieren
      Erster Durchbruch am Bauzaun gescheitert (27.08.10)

      Stuttgart 21 - Abriß begonnen
      Hilft nur noch Bauplatzbesetzung? (25.08.10)

      30.000 protestieren:
      "Stoppt Stuttgart 21" (21.08.10)

      Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
      'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)

      21.000 bei Menschenkette
      gegen Stuttgart 21 (14.08.10)

      Studie des Umweltbundesamtes
      Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)

      Immer mehr Menschen protestieren
      16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)

      Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
      Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)

      Protestival der Parkschützer
      Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)

      'stern' veröffentlicht geheime Studie
      zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen
      (8.07.10)

      Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
      In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut
      (29.04.10)

      Verkehrssicherheit
      Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)

      'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
      "Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)

      Investitionen in Schienenverkehr:
      BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)

      Bahn-Privatisierung abgesetzt
      Weltwirtschaftskrise rettet Deutsche Bahn (4.03.09)

      Aus für Transrapid
      Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)

      38.000 Unterschriften
      gegen Transrapid München (21.12.07)

      Stuttgart 21
      Unerwartet starke Beteiligung am Bürgerbegehren
      (14.11.07)