14.01.2011

Berliner S-Bahn planmäßig ruiniert
Verantwortlich war Bahn AG

Berliner S-Bahn in besseren Zeiten Berlin (LiZ).
Hans-Otto Constantin, früherer Geschäftsführer der Berliner S-Bahn erhebt in einem Offenen Brief schwere Anschuldigungen gegen den jetzigen Bahn-Chef Rüdiger Grube, dessen Vorgänger Hartmut Mehdorn sowie DB-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Bereits der Berliner Fahrgastverband hatte kürzlich kritisiert, daß die immer deutlicher sichtbaren Mängel bei der Berliner S-Bahn nicht zuletzt daher rührten, daß in den Waggon-Werkstätten des Unternehmens etwa die Hälfte der Stellen gestrichen wurden. Der nun vorliegende Offene Brief zeigt auf, daß dahinter eine systematische Strategie der Bahn AG steckte.

Der Offene Brief des früheren Geschäftsführers der Berliner S-Bahn wird von vielen Aussagen von S-Bahn-MitarbeiterInnen gestützt und ist daher hier im Wortlaut wiedergegeben:

An die Verkehrssenatorin Frau Junge-Reyer
An die Fraktionen des Abgeordnetenhauses
zu Berlin

Sehr geehrte Frau Senatorin,
sehr geehrte Damen und Herren,

als mitverantwortlicher Geschäftsführer der S-Bahn Berlin GmbH bis Mai 2002 weise ich entschieden die wiederholten Behauptungen des Vorstandsvorsitzenden Herrn Grube vor dem Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses zurück, es sei auf Gewährleistungsansprüche der S-Bahn Berlin GmbH an die Hersteller der Baureihe 481 vorzeitig verzichtet worden. Das ist mehr als eine Unwahrheit. Dies hätte nach der damaligen Geschäftsordnung nur die damalige Geschäftsführung tun können. Diesen vorzeitigen Verzicht gibt es nicht. Es hätte auch gar keinen Grund dafür gegeben.

Es wurde seitens der DB AG in der Anhörung erneut behauptet, es habe keine elektronische Dokumentation für die Instandhaltung gegeben habe. Auch das ist unwahr. Wir hatten die Instandhaltungssoftware Maximo noch bevor es auch nur annähernd etwas Vergleichbares bei der DB AG gab. Es gab zu unserer Zeit nichts Besseres. Soweit ich informiert bin wurde dieses System durch Herrn Thon abgeschaItet.

Falsch ist auch die Behauptung wir hätten keine Qualitätskontrolle gehabt. Nach meinen Informationen ist diese einschließlich aller wirklich tüchtigen und erfahrenen Ingenieure der gesamten Konstruktionsabteilung im Rahmen des Personalabbaues durch Herrn Thon abgeschafft worden. Sie waren aber für die Instandhaltung und Qualitätssicherung unverzichtbar. Die S-Bahn Berlin GmbH war ein zertifiziertes Unternehmen. Das schloss insbesondere auch die Werkstätten ein. Wir haben uns einem jährlichen Audit unterzogen. Nach meinen Informationen wurde das von Herrn Thon abgeschafft.

Der damalige Vorstandsvorsitzende, Herr Mehdorn und der Aufsichtratsvorsitzende der S-Bahn wurden durch die damalige Geschäftsführung nachdrücklich gewarnt, die Ergebnisse der OSB-Arbeitsgruppe umzusetzen. Wir waren dazu nicht bereit, weil wir besorgt waren, dass die vorgesehenen Maßnahmen die S-Bahn ruinieren würden. U.a. trug uns das den Vorwurf der Konzernuntreue ein.

Niemand von uns damals Verantwortlichen kann verstehen, dass alleine in der Hauptwerkstatt die Mitarbeiter von 800 auf ca. 200, die Meister von 26 auf 3 reduziert wurden, dazu das gesamte mittlere Management. Damit wurde auf deren lebensnotwendiges Know-how verzichtet. Die Art wie das geschah empfinde ich bis heute beschämend. Ich teile den Zorn über diese Vorgänge mit unseren damaligen hoch motivierten Mitarbeitern und schäme mich, dass die Unternehmensleitung unsere S-Bahnfamilie unverzeihlich und ziemlich rabiat zerstörte.

Leiter der OSB-Arbeitsgruppe war der von Herrn Homburg eingesetzte Herr Thon. Er sorgte auch dafür, dass Herr Thon zum Zwecke der Umsetzung des gesamten Unsinns später zum Geschäftsführer der S-Bahn und alleinzuständig für die Technik gemacht wurde. Herr Thon zwar vom Aufsichtsrat als Geschäftsführer der S-Bahn bestellt, hatte nie einen Dienstvertrag mit der S-Bahn sondern mit DB Regio. Dort war zu jener Zeit Herr Homburg Chef. Ihm gegenüber war Herr Thon mithin berichtspflichtig. Vieles spricht dafür, dass Herr Thon nichts ohne dessen Rückendeckung veranlasst hatte. Auch deshalb ist für mich zuerst Herr Homburg in die Verantwortung zu nehmen.

Der heutige Zustand der S-Bahn war vorauszusehen. Es ist empörend dieses Debakel jetzt bei uns Altgeschäftsführern abzuladen. Immerhin ist die heute völlig vermurkste Technik der 481 über 10 Jahre fast völlig störungsfrei mit einem außerordentlich hohen Verfügungsgrad, im DB Konzern ziemlich einmalig, von weit über 90% gefahren. Sie war gepflegt, pünktlich und von unseren Kunden hoch gelobt.

Die DB AG ist bis heute nicht bereit, meine Kollegen und mich aus der Verschwiegenheitsverpflichtung zu entlassen. Es durften nicht einmal in die früheren Betriebsakten im Rahmen der Untersuchungen der beauftragten Anwaltskanzlei Gleiss-Lutz eingesehen werden. Herr Grube hat uns bis heute kein rechtliches Gehör gewährt.

Ich möchte Sie auch davon unterrichten, dass die DB AG in dreister Form jetzt Schadensersatz aus der Haftpflichtversicherung eines meiner damaligen Kollegen erwirken will, die mit einer Haftungssumme von 1.5 Mrd. ausgestattet ist, dies obwohl wir gem. GmbHG gemeinsam haften. Man darf gespannt sein wie dieser Vorgang juristisch zu bewerten ist. Es will sich mir nicht erschließen, warum man nicht an unsere Nachfolger herangeht. Der gesamte bisherige Vorgang hat für mich längst die Qualität eines Wirtschaftskrimis des größten deutschen Staatsunternehmens. Ich staune auch über unsere Justiz. Man läuft jedem kleinen Hühnerdieb hinterher, aber ignoriert grob fahrlässige Transportgefährdung Tausender Fahrgäste. Es gab Personenschäden, die nicht völlig konsequenzlos geblieben sind.

Zur Zukunft der S-Bahn Berlin GmbH warnen meine Kollegen und ich dringend davor, eine Teilausschreibung vorzunehmen. Das würde eine Fortsetzung des Debakels ganz anderer Art sein, weil das S-Bahnsystem eine in sich geschlossene hoch komplexe ganzheitliche Technologie ist, die man nicht beliebig teilen kann. Wenn ausschreiben, dann ganz oder gar nicht. Das Argument der nicht finanzierbaren Investitionskosten bei einer Vollausschreibung ist Unsinn. Wir haben damals die Investition mit Unterstützung des Bahnkonzerns selbst geschultert. Was wir konnten, ist auch anderen möglich. Ich hoffe sehr, dass Sachargumente alle Fraktionen überzeugen werden. Ich bin mit meinen Kollegen gerne bereit, Ihnen diese zu liefern. Wer aber glaubt, dass ein Desaster dieser Art durch eine Vollprivatisierung ausgeschlossen werden könne, muss blind oder ein Ignorant sein, über das, was sich beinahe täglich in der privaten Wirtschaft ereignet, oder er verfolgt ideologische Motive. Im übrigen können solche Verkehre nur Großkonzerne mit einer entsprechenden Finanzkraft abwickeln. Jeder andere wäre mit diesen S-Bahnproblemen insolvent geworden.

Die bisherigen privaten Eisenbahnen ziehen Ihre Kostenvorteile vor allem aus den bis zu 30 % niedrigeren Personalkosten. Der § 623a BGB hatte nicht verhindert, dass die Einkommen deren Mitarbeiter wesentlich niedriger sind als die der DB AG. Deshalb muss verantwortliche Politik jener, die ausschreiben möchten, gleichzeitig den S-Bahnern sagen, wie sie eine solche Lohnabsenkung verhindern will. Andernfalls würden die Mitarbeiter der S-Bahn, die jetzt wieder mal versuchen den Karren aus dem Dreck zu ziehen, erneut im Regen stehen. Das sollte sich Berlin nun wirklich nicht einfallen lassen.

Eine Schlussbemerkung zu den Fahrmotoren. Wir hatten auch kalte schneereiche Winter. Flugschnee gab es auch damals. Es fällt auf, dass nicht alle Motoren ausgefallen sind, aber wahrscheinlich die, die im Laufe der Zeit in der Instandhaltung waren. Deren Wicklungen müssen 3 mal in einen speziellen Isolierlack getaucht werden. Das scheint aber aus Kostengründen ungenügend gemacht worden zu sein.

Ich möchte daran erinnern, dass unter Herrn Dr. Ludewig und Anfangs auch durch Herrn Mehdorn die Zusammenführung der BVG mit der S-Bahn versucht wurde. Leider ist das am Widerstand der Politik gescheitert, weil die DB AG die Führung dieses gemeinsamen Unternehmens beanspruchte. Das aber war damals verhandelbar und es wäre auch heute noch eine Option.

Berlin, den 10.01.2011

Hans-Otto Constantin

Auch außerhalb Berlins wird in den kommenden Wochen mit Interesse beobachtet werden, ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Mehdorn, Grube, Homburg und Thon einleitet. Dies ist leider in Deutschland nicht unbedingt zu erwarten, da die Staatsanwaltschaft hierzulande gegenüber der Politik weisungsgebunden ist.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Umweltverbände warnen vor Hype um Elektro-Auto:
      "Potemkinsches Dorf der Elektromobilität" (29.04.10)

      Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
      In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut
      (29.04.10)

      Fernstraßen-Projekte
      BUND fordert Kürzung um 30 Milliarden Euro (12.04.10)

      Dienstwagen-Studie der DUH:
      Die Klima-Heuchler von Koch bis Platzeck (25.02.10)

      Rückgang im Güterverkehr um 11,7 Prozent
      Weltwirtschaftskrise trifft Güterbahn
      härter als LkW-Konkurrenz (21.01.10)

      Investitionen in Schienenverkehr:
      BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)